Bachtyar Ali: Die Herrin der Vögel
Aus dem Kurdischen (Sorani) von Ute Cantera-Lang und Rawezh Salim.
Unionsverlag, 2024.
336 Seiten, 26 Euro.
Bachtyar Alis Roman "Die Herrin der Vögel" mutet zunächst wie ein orientalisches Märchen an. Bunt, bildreich, voller Phantasie erzählt Ali die magische Geschichte von Sausan, die mit ihrem Vater und ihrer Schwester aus der Stadt in einem kleinen Ort gezogen ist. Sausan ist wunderschön und verzaubert jeden, der sie sieht.
Drei Männer werben um sie: Kameran, der Messerstecher, Asrin, der schöngeistige Student, und Khalid, der Besitzer eines Marktstandes. Sausan lebt in der Bibliothek ihres Vaters Fikrat, lernt das Leben aus tausenden von Büchern kennen. Sie empfängt die drei Männer und gibt Ihnen eine Aufgabe: Sie sollen acht Jahre lang um die Welt reisen und jeder solle ihr von überall her einhundert Vögel mitbringen. Wenn sie dann noch immer verliebt seien, wolle sie sie anhören.
Der Vater des Markthändlers Khalid ist außer sich vor Freunde:
"Khalid, mein Sohn, Du kannst Dir sicher sein, dass Du eine besondere Frau ausgewählt hast. Sie ähnelt den Frauen in den alten Geschichten, den Töchtern der mächtigen Paschas. Mein ganzes Leben lang habe ich mir gewünscht, eine solche Frau zu treffen. Ich dachte, diese Art sei vor dreihundert Jahren ausgestorbenen. Aber der große Herr wollte, dass ich vor meinem Tod noch eine Frau kennenlerne, die den Engeln aus den alten Büchern gleicht."
Nur, wenn ihr künftiger Ehemann etwas von der Welt gesehen habe, wenn er genau wisse, dass er sie und keine andere wolle, will Sausan über eine Ehe mit ihm nachdenken. Sie könne aber keine Garantie geben, dass sie wirklich einen von ihren heiraten werde. Sie sollten sich also gut überlegen, ob sie die Reise antreten wollten. Der kluge Asrin versteht als einziger Susans Wunsch:
"Sausan will, dass wir gleich zu Beginn weggehen, sterben und in der Ferne als andere auferstehen. So wie wir erzogen wurden, will sie uns nicht. Deshalb fürchte ich mich vor dieser Reise, weil ich mehr von mir zu sehen bekommen werde, als mir lieb ist."
Mit Lastwagen voller schillernder Vögel kehren die drei Verehren Sausans zurück. Sie wird sich entscheiden müssen.
Doch "Die Herrin der Vögel" ist alles andere als ein Märchen. Fikrat ist mit seinen Töchtern aus Bagdad in einen kleinen kurdischen Ort gezogen. Der Roman spielt im Irak zwischen 1986, inmitten des ersten Golfkrieges, des Irak-Iran Krieges, und 2003, also bis zur amerikanischen Militärinvasion und bis nach dem Sturz Saddam Husseins. Fikrats Sohn und sein Schwiegersohn fallen, Krieg und Gewalt, Leid und Zerstörung prägen den Alltag. Der grausame Geheimdienst sieht alles. Clans beherrschen die kleine Stadt. Kurden kämpfen gegen Kurden. Viele fliehen. Bachtyar Ali ist der allwissende, kommentierende Erzähler.
Manchmal kehrt jemand zurück. Im Roman ist es Kameran, der Messerstecher, der als erster der drei Verehrer heimkehrt.
"Heute, fünfzehn Jahre später, nachdem Zehntausende Familien und junge Männer, die ihre Heimat verlassen mussten, sich über die Erde verteilt haben, ist so eine Rückkehr kein Ereignis mehr für uns. Aber als Kameran (…) im Herbst 1994 zurückkehrte, war für uns die Welt noch eine magische Unbekannte. Jeder, der von draußen in unsere Stadt kam, brachte außergewöhnliche Geschichten und Erfahrungen mit. Bei Kamerans Rückkehr glühte in uns noch die Neugier, etwas über die Welt zu erfahren."
Bachtyar Ali schreibt zutiefst menschlich, ohne naiv zu sein. Es gelingt ihm, die magische Welt der Sausan zu verbinden mit der genauen realistischen Darstellung von Krieg und politischen Rankünen. Seine Sprache ist poetisch, wenn er die kluge Frau und ihre Verehrer begleitet und sehr klar, wenn er von seiner Heimat erzählt. Es ist diese Mischung aus genauen Schilderungen und phantastischem Realismus, die Bachtyar Ali unvergleichlich macht.
"Niemand weiß, wer damit begann, das Märchen zu verbreiten. dass die Federn von Susans Vögel Talismane für eine glückliche Reise seien (…). Hunderte Menschen, die über die Grenze in den Iran, in die Türkei oder nach Syrien und von dort in die weite Welt gingen, zu Fuß von der Türkei nach Griechenland bis nach Athen gelangen oder nachts an den italienischen Stränden illegal ein verließen, (…) hatten so eine Feder in der Tasche."