04.06.1955: Adolf Sauerland ist ein Duisburger Jung, geboren im Walsumer Stadtteil Wehofen. Später arbeitet er als Oberstudienrat, tritt 1980 in die CDU ein und sitzt bald im Rat der Stadt. Sauerland ist Vater von vier Kindern, gibt sich bodenständig, legt sich den Schal des MSV Duisburg über die Schultern und fährt hin und wieder mit dem Motorroller durch die Stadt. 2004 tritt er gegen die SPD-Oberbürgermeisterin an. Nach der Stichwahl am 10.10.2004 sind 56 Jahre SPD-Herrschaft gebrochen: Sauerland wird zum Oberbürgermeister der 490.000-Einwohner-Stadt Duisburg gewählt.
21.04.2007: Das CityPalais mit Casino, Kongresszentrum, Läden und der neuen Mercatorhalle wird feierlich eröffnet. Trotz klammer Kassen – Duisburg wirtschaftet mit Nothaushalt und drei Milliarden Schulden – gewinnt Sauerland fleißig Investoren für Großprojekte: Er treibt den Ausbau des Binnenhafens voran und im September 2008 öffnet mit dem Forum ein weiteres Einkaufszentrum in der Innenstadt.
11.06.07: Der Rat der Stadt beschließt einstimmig, die Loveparade 2010 nach Duisburg zu holen – nur dürften dafür keine städtischen Mittel verwendet werden. Im gleichen Monat schließt die letzte Zeche der Stadt, das Bergwerk Walsum.
15.01.09: Bochum sagt die Loveparade ab. Nach Zweifeln, ob Duisburg mit seinem kleinen Bahnhof und den vielen Brücken die Loveparade stemmen kann, erklärt Sauerland im Februar einer Zeitung: "Wir wollen die Loveparade und setzen alles daran, dass sie hierher kommt. Wir werden eine Strecke finden. Von uns wird das Fest nicht abgesagt."
30.08.09: Sauerland wird in einer Direktwahl mit 44,6 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt. 74.000 Bürger geben ihre Stimme für ihn ab.
21.01.10: Sauerland informiert die Ratsmitglieder über die Planungen zur Loveparade. Laut Protokoll fragt SPD-Fraktionschef Herbert Mettler: "Die Beschreibungen zu dieser Veranstaltung haben mich sehr erschrocken. Ich frage mich, wie die Risiken beherrscht werden sollen." Doch Sauerland lässt Zweifel nicht gelten. "Wenn kritisch nachgefragt wurde", so erinnert sich SPD-Ratsfrau Elke Patz später im WDR Fernsehen, "hat er durch ironische Bemerkungen versucht, den Fragenden ins Lächerliche zu ziehen, um vom eigentlichen Thema abzulenken".
08.06.10: Bei einem Treffen von Vertretern der Stadt Duisburg, des Veranstalters und der Feuerwehr wird heftig über die Beschränkung der Besucherzahlen und die zu engen Fluchtwege diskutiert. Laut Sitzungsprotokoll stellt Ordnungsdezernent Wolfgang Rabe "in diesem Zusammenhang fest, dass der OB die Veranstaltung wünsche und dass daher hierfür eine Lösung gefunden werden müsse".
14.06.10: Zehn Tage vor der Loveparade schickt die Bauaufsicht einen Brandbrief an den Veranstalter, bislang gebe es weder ein "zielorientiertes Brandschutzkonzept" noch eine Endfassung des Sicherheitskonzepts. Eine Kopie des Schreibens geht laut Vermerk ("Büro OB z. Kts.") auch an Sauerland.
23.07.10: Die Stadt Duisburg genehmigt die Nutzungsänderung des alten Güterbahnhofs für die Loveparade. Es gibt zwei Auflagen: Die maximale Anzahl der Personen, die sich gleichzeitig auf dem Gelände aufhalten darf, wird auf 250.000 Menschen begrenzt. Zudem dürfen "die Fluchtwege an keiner Stelle durch Einbauten oder sonstige Hindernisse beschränkt werden". Sauerland unterzeichnet die Genehmigungsbescheide nicht, das tun ihm unterstellte Beamte.
24.07.10: Die Loveparade findet statt. Nur wenige Stunden vorher verteidigt Sauerland seine Initiative in einem Fernsehinterview: "Sonst wäre die Loveparade endgültig gestorben gewesen für das Ruhrgebiet." Zwischen 16 und 17 Uhr kommt es im unteren Bereich der Rampe, die zum Festivalgelände des alten Güterbahnhofs führt, zu einer Massenpanik. 17.02 Uhr erhält die Polizei Meldung von den ersten Toten an der Rampe. 21 Menschen kommen ums Leben, 500 werden verletzt. Laut Polizei, die Luftaufnahmen ausgewertet hat, befanden sich 350.000 Menschen auf dem Gelände. Um 20 Uhr sagt Adolf Sauerland auf einer Pressekonferenz: "Soweit wir das Szenario kennen, sind die Toten entstanden, weil man Sicherheitsvorkehrungen überklettert hat und dann abgestürzt ist." Zu den Todesfällen hätten wohl "individuelle Schwächen" der Besucher geführt. Nach den Obduktionen stellt sich später heraus, dass alle 21 Opfer an Brustquetschungen, nicht an Folgen von Stürzen, gestorben waren.
25.07.10: Auf einer weiteren Pressekonferenz weichen Sauerland, Veranstalter Rainer Schaller und die Polizei den Fragen der Journalisten aus und entschuldigen sich nicht. Am Nachmittag besucht Sauerland die Unglücksstelle und muss Pfiffe und Buh-Rufe einstecken.
27.07.10: Sauerland erklärt in der "Bild"-Zeitung: "Ich persönlich habe nichts unterschrieben, keine einzige Genehmigung." Das sei "gar nicht der Job des Oberbürgermeisters". Eine persönliche Verantwortung für das Unglück lehnt er ab, einen Rücktritt auch: "Ich habe mein Leben – 21 andere Menschen haben es verloren. Ich will erst wissen warum. Danach entscheide ich über persönliche Konsequenzen."
30.07.10: Von allen Seiten hagelt es nun Rücktrittsforderungen. Innenminister Ralf Jäger (SPD), Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), sogar die Parteikollegen Wolfgang Bosbach und Bundespräsident Christian Wulff sprechen sich direkt oder indirekt dafür aus. Bosbach sagt: "Als Politiker hafte ich auch politisch für mögliche Fehler meiner Mitarbeiter." Die Duisburger Fraktion der Linken stellt einen Antrag zur Abwahl des Oberbürgermeisters. Vor dem Rathaus demonstrieren wütende Bürger mit selbstgebastelten Galgen. Der OB selbst steht unter Polizeischutz, erhält Morddrohungen. Die Onlineausgabe der WAZ zitiert ihn, Gerüchte über seinen Rücktritt könne man "in die Tonne kloppen".
31.07.10: Wie angekündigt fehlt er beim zentralen ökumenischen Trauergottesdienst zum Gedenken der Opfer in der Duisburger Salvatorkirche, "aus hohem Respekt" vor den Angehörigen.
02.08.10: Die SPD fordert Sauerlands sofortigen Rücktritt, einen Tag später zieht die FDP nach. In der Stadt sammelt Werner Hüsken Unterschriften für ein Bürgerbegehren zur Abwahl des OBs. Im NRW-Innenausschuss betont Sauerland wie "entsetzlich alle Duisburger und ich besonders" unter dem Unglück leiden. Von eigenen Fehlern oder Fehlern der Verwaltung spricht er nicht, will sich aber einem Abwahlverfahren stellen.
03.08.10: Sauerland gibt eigenmächtig ein 420.260,15 Euro teures juristisches Gutachten in Auftrag. Die Kanzlei Heuking, Kühn, Lüer und Wojtek stellt einen Persilschein aus: Es gebe keine Erkenntnisse, "dass Mitarbeiter der Stadt Duisburg ihre gesetzlichen Pflichten verletzt hätten und auf diese Weise zum Unglück beigetragen oder es gar verursacht hätten". Die Neutralität des Gutachtens ist umstritten.
15.08.10: Im Interview mit dem WDR Fernsehen sagt Sauerland: "Natürlich stelle ich mir die Frage, ob man das Amt nach so einem tragischen Ereignis weiter ausüben kann. Aber diese Antwort werde ich erst dann geben, wenn ich die Antworten auf die uns alle bedrückenden Fragen habe." Er scheint in einer Schockstarre: "Jeden Morgen, wenn ich wach werde, wünsche ich mir, dass alles das, was wir erlebt haben, nur ein böser Traum ist, aber es ist Realität."
08.09.10: Beim politischen Nachtgebet in Marxloh sagt Duisburgs ehemaliger OB, Josef Frings, Sauerland habe eine große Geste zur rechten Zeit verpasst. "Im Rathaus ist die Atmosphäre völlig vergiftet. Das ist inzwischen auch mit einem Rücktritt nicht mehr erledigt." Sauerland sei traumatisiert, brauche Hilfe.
12.09.10: Bei der Aufführung der "Sinfonie der Tausend" im Landschaftspark Nord hat Sauerland seinen ersten größeren Auftritt nach dem Unglück. Bundespräsident Christian Wulff (CDU) und NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft lassen ihn die meiste Zeit im Abseits stehen. Erst seit Ende August tritt Sauerland wieder in der Öffentlichkeit auf – zum Beispiel bei Firmeneinweihungen oder Richtfesten.
13.09.10: Auf einer Sondersitzung des Duisburger Rats scheitert ein Abwahlantrag von SPD, Linken, Grünen und FDP, es kommt keine Zweidrittelmehrheit zu Stande. Zuvor hatten 10.000 Duisburger einen Einwohnerantrag zur Abwahl des OBs unterschrieben.
10.11.10: Rolf Karling, der eine Straßenambulanz für Obdachlose in Duisburg betreibt, bespritzt Sauerland bei der Einweihung eines neues Markplatzes im Stadtteil Rheinhausen von oben bis unten mit Ketchup.
08.12.10: Auf einer Mitarbeiterversammlung der Stadt Duisburg wird Sauerland von den eigenen Angestellten ausgepfiffen; rund 100 Menschen verlassen die Mercatorhalle. Mitte Dezember verleiht er Duisburger Kommunalpolitikern Ehrensiegel und –wappen: 15 SPD-Mitglieder bleiben der Feierstunde fern. In seinem Weihnachtsgrußwort auf der Homepage der Stadt bedauert er, "der Situation nach dem Unglück und insbesondere den Gefühlen der Geschädigten nicht gerecht geworden" zu sein.
18.01.11: Die Staatsanwaltschaft Duisburg leitet gegen 16 Personen ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung ein – nicht aber gegen Sauerland. Auf dem Online-Meinungsportal "Deutschland-stimmt-ab" wird Sauerland im Februar deutlich vor DSDS-Sänger Menowin Fröhlich und dem Ex-Bischof Walter Mixa zur Unperson des Jahres 2010 gewählt. 6.000 User nahmen an der Umfrage teil.
07.03.11: Beim traditionellen Prinzenfrühstück im Duisburger Rathaus verzichtet Sauerland erstmals auf Büttenrede und Kostüm – und erhält stehenden Applaus.
11.05.11: Der NRW-Landtag verabschiedet eine Rechtsänderung in der Gemeindeordnung, in den Medien "Lex Sauerland" genannt. Von nun an kann die Bevölkerung ein Stadtoberhaupt ohne Umweg über den Rat abwählen.
11.07.11: Bei der letzten Ratssitzung vor dem Jahrestag des Unglücks entschuldigt sich Sauerland für die Katastrophe auf der Loveparade. "Als Oberbürgermeister dieser Stadt trage ich moralische Verantwortung für dieses Ereignis. Es ist mir ein persönliches Bedürfnis, mich an dieser Stelle bei allen Hinterbliebenen und Geschädigten zu entschuldigen."
13.07.11: In einer Dokumentation des WDR Fernsehens bedauert Sauerland erstmals sein Verhalten nach dem Unglück. "Ich hätte die moralische Verantwortung übernehmen müssen" sagt er in die Kamera. Und: "Es hätte von mir kommen müssen. Die Übernahme moralischer Verantwortung, sich bei den Angehörigen der Opfer zu entschuldigen. Das ist so. Im Nachgang weiß ich es. Es tut mir auch unendlich leid, dass ich es nicht sofort getan hab, sondern dass so viel Zeit vergangen ist, bis das passieren konnte." Er habe am Anfang das Gefühl gehabt, wenn er sich entschuldige, werde er automatisch für das Unglück verantwortlich gemacht. "Ich habe mir immer gesagt: Du musst so lange durchhalten, bist du allen zeigen kannst, dass diese Katastrophe nicht durch dein Verhalten entstanden ist."
17.10.11: Zu Beginn der Ratssitzung übergeben Vertreter der Bürgerinitiative "Neuanfang für Duisburg" Listen mit insgesamt 79.149 Unterschriften von Duisburger Bürgern, die Sauerland abwählen wollen. Rund 55.000 gültige Stimmen hätten ausgereicht, 67.329 Stimmen werden später von der Stadtverwaltung für gültig erklärt. Beim Hinausgehen aus dem Saal ruft ein Bürger: "Treten Sie zurück, Herr Sauerland!“ Und: „Sie spielen hier doch Normalität nur vor."
24.11.11: Auf einer Sondersitzung legt der Stadtrat den Termin für das Abwahlverfahren fest, den 12.02.12. Nun müssen rund 92.000 Duisburger gegen ihren OB stimmen, deutlich mehr als jene 74.000, die Sauerland 2009 wählten. Die Bürgerinitiative "Neuanfang für Duisburg" hatte den Termin zunächst moniert, ist aber trotz Winterwetter und Karnevalssaison optimistisch, die Stimmenzahl zu erreichen. Sprecher Theo Steegmann: "Es gibt ein breites Bündnis von Kirchen, Gewerkschaften und Parteien gegen Sauerland." Der OB selbst erklärt per Pressemitteilung, er fühle sich "verpflichtet, mein Amt bis 2015 weiterhin zum Wohle der Stadt auszuüben."
08.12.11: Die Staatsanwaltschaft Wuppertal ermittelt gegen Sauerland mit dem Anfangsverdacht auf Vorteilsnahme im Amt. Es geht um Parteispenden, die Sauerlands CDU von den Projektentwicklern erhalten hat, die dem Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (BLB) zwei Grundstücke in Duisburg weggeschnappt haben.
24.01.12: Sauerland stellt Broschüren für den Wahlkampf vor. Darin verweist er auf die Erfolge seiner Amtszeit, mit denen er den "jahrzehntelange Stillstand und Verfall" der Stadt aufhielt. Zur Loveparade heißt es, die Stadtverwaltung mit ihm an der Spitze hätte alles für einen sicheren Ablauf getan, "soweit wir das beeinflussen konnten". Ihn persönlich habe das Unglück schockiert und "in den Grundfesten erschüttert". Er bitte um Verständnis, dass er deshalb in den ersten Tagen nach der Loveparade oft "unglücklich agiert" habe.
12.02.12: Oberbürgermeister Adolf Sauerland wird von den Bürgern abgewählt. Mehr als 129.800 von rund 360.000 Wahlberechtigten stimmen gegen ihn. Für ihn sprechen sich nur rund 21.500 Menschen aus. Sauerland muss am Mittwoch (15.02.2012) seinen Posten räumen, wenn der Wahlprüfungsausschuss das amtliche Endergebnis bekannt gegeben hat. Neuwahlen müssen innerhalb der nächsten sechs Monate stattfinden.