Stichtag

24. Februar 2009 - Vor 300 Jahren: Jacques de Vaucanson wird geboren

"Durch den Hebel, der die Lippen zurückzieht, ahme ich die Handlung eines Menschen nach." So beschreibt der französische Konstrukteur Jacques de Vaucanson die Funktionsweise seines mechanischen Flötenspielers. "Die Wirkung des Hebels, wodurch die Zunge bewegt wird, ist eine Nachahmung der Bewegung, welche die Zunge des Menschen macht." Der Android, der menschenähnliche Automat, den Vaucanson 1738 in Paris der Öffentlichkeit vorstellt, kann mit Hilfe eines Blasebalges zwölf Lieder vortragen. Die Zuschauer sind begeistert und zahlen hohe Eintrittpreise. Die Maschine, die wie ein Mensch aussieht, scheint zu leben. Auch ein zweiter Automat beeindruckt das Publikum. Dieser sieht aus wie eine Ente. Der Roboter kann mit den Flügeln schlagen, quaken, Körner schlucken und Wasser trinken. Nach einer Weile scheidet das vogelähnliche Gebilde eine Art Entenkot aus.

"Solche Apparate", sagt die Bochumer Literaturprofessorin Monika Schmitz-Emans, "sind immer ein Anlass danach zu fragen, was der Mensch selbst ist und was ihn von diesen Apparaten unterscheidet." Nichts unterscheidet Mensch und Maschine, meinen damals viele Forscher und Philosophen: Wie der Kosmos sei auch der Mensch als Mikrokosmos nur ein Uhrwerk. Vaucanson, geboren am 24. Februar 1709 in Grenoble als Sohn eines Handschuhmachers, löst einen Automatenboom aus. Mechaniker konstruieren Maschinenwesen um die Wette. Manche tingeln mit ihnen durch Europa. Zu den Attraktionen gehört ein weiterer Android: Der Schreib-Roboter des Schweizer Uhrmachers Pierre Jaquet-Droz  kann mit Feder und Tintenfass ein Programm von 40 Groß- und Kleinbuchstaben abspulen.

Unterdessen macht sich der französische König den mechanischen Verstand Vaucansons zu Nutze. Kardinal Fleury, leitender Minister Ludwig XV., ernennt Vaucanson 1740 zum Inspektor der Manufakturen des Königreichs. Er soll die ineffiziente Seidenweberei in Lyon  neu organisieren. Denn Seide steht für Macht. Seide unterscheidet den Adel vom Volk. Vaucansons Plan ist einfach: Er dreht seine Idee um. Er versucht, die Menschen zu Maschinen zu machen und die Seidenweber in den Maschinentakt zu zwingen. Durch Arbeitsteilung und Konkurrenz soll mehr Ertrag erwirtschaftet werden. Doch die Arbeiter revoltieren und jagen Vaucanson 1744 aus der Stadt.Der Geschasste revanchiert sich - und ersetzt die Menschen komplett: durch einen vollmechanischen Webstuhl, den er 1745 konstruiert. Im Jahr darauf schlägt er der Akademie der Wissenschaften in Rouen seinen nicht verwirklichten Plan eines künstlichen Menschen vor. Das anatomische Abbild soll demonstrieren, wie die inneren menschlichen Organe funktionieren. Da kein geeignetes Material für die Nachbildungen zur Verfügung steht, scheitert das Vorhaben. Vaucanson stirbt am 22. Februar (nach anderen Quellen am 21. November) 1782 in Paris.

Stand: 24.02.09