"Ich habe manchmal das Gefühl, ich bin kein richtiger Mensch, sondern auch irgendein Vogel oder ein anderes Tier in Menschengestalt", schreibt Rosa Luxemburg am 2. Mai 1917 in einem Brief aus der Haft in der Festung Wronke in der Provinz Posen. "Innerlich fühle ich mich in so einem Stückchen Garten wie hier oder im Feld unter Hummeln und Gras viel mehr in meiner Heimat als - auf einem Parteitag." Die sozialistische Politikerin vertraut ihrer Freundin Sonja Liebknecht: "Ihnen kann ich ja wohl das alles sagen: Sie werden nicht gleich Verrat am Sozialismus wittern. Sie wissen, ich werde trotzdem hoffentlich auf dem Posten sterben: in einer Straßenschlacht oder im Zuchthaus. Aber mein innerstes Ich gehört mehr meinen Kohlmeisen als den 'Genossen'."
Rosa Luxemburg ist nicht gut auf ihre Partei zu sprechen: Die SPD hat 1914 den Kriegskrediten zugestimmt. Mittlerweile ist der von Deutschland entfachte Erste Weltkrieg in vollem Gang und Luxemburg befindet sich in Haft, weil sie unter anderem zur Kriegsdienstverweigerung aufgerufen hat. Drei der vier Kriegsjahre verbringt Luxemburg im Gefängnis: in Berlin, in Posen, in Breslau. Die SPD, der sie 1898 beitrat, ist für sie nur noch "ein Haufen organisierter Verwesung".
Als Revolutionärin in der SPD
Rosa Luxemburg macht von klein auf Politik. Bereits als Schülerin engagiert sich die am 5. März 1871 in Zamosc in Russisch-Polen geborene Holzhändler-Tochter in der konspirativen sozialistischen Bewegung. Mit noch nicht einmal 20 Jahren flüchtet sie 1889 vor der politischen Polizei aus Polen und studiert in Zürich an der Philosophischen Fakultät. Dort verliebt sie sich in Leo Jogiches, einen linken Drahtzieher in der Studentenszene. Sie pendelt zwischen Zürich und Paris, wo sie die polnische sozialdemokratische Zeitung "Sache der Arbeiter" mitbegründet. Der Kampf gilt den zaristischen Unterdrückern, das Königreich Polen gehört damals noch zu Russland. 1884 findet in Warschau der erste, noch illegale Kongress der sozialdemokratischen Arbeiterpartei Polens statt. Luxemburg gehört mit Jogiches zu den führenden Mitgliedern der Partei.
Durch eine Scheinehe erhält sie die deutsche Staatsbürgerschaft und zieht 1898 nach Berlin, um auch dort die Revolution voranzutreiben. Zwei Jahre später greift Luxemburg mit ihrer Schrift "Sozialreform oder Revolution?" in die sogenannte Revisionismusdebatte innerhalb der SPD ein und verteidigt ihren revolutionären Standpunkt gegen revisionistischen von Eduard Bernstein. "Sie ist die Theoretikerin der Sozialdemokratie gewesen vor dem Ersten Weltkrieg", sagt Tilman Fichter, ehemaliger Referent für Schulung und Bildung beim SPD-Parteivorstand. "Trotz aller Gehässigkeiten vonseiten der Männer" habe sie immer den Schutz von August Bebel gehabt. Dafür revanchiert sich Luxemburg, indem sie einmal in einem Parteitagshotel Bebel einen Zettel unter der Zimmertür durchschiebt. Darauf steht: "Aujust, ick liebe dir."
Mitbegründerin der KPD
Rosa Luxemburg, die einen demokratischen Sozialismus anstrebt, legt sich auch mit Lenin an. In einem Aufsatz beschäftigt sie sich 1904 mit Lenins zentralistischen Vorstellungen und seiner Absicht, einen weisungsbefugten Kommissar nach Deutschland zu schicken: "Die Bolschewiki mögen mit ihrer Taktik zu Hause bleiben. Wir brauchen keinen Kommissar." Lenins Gedankengang sei hauptsächlich auf die Kontrolle der Parteitätigkeit und nicht auf ihre Befruchtung zugeschnitten. Demokratie auszuschließen, bedeute jedoch "die lebendigen Quellen allen geistigen Reichtums und Fortschritts abzusperren. Die Bürokratie zum allein tätigen Element werden zu lassen, heißt, eine Diktatur über das Proletariat zu errichten." Freiheit nur Mitglieder einer Partei - "mögen sie noch so zahlreich sein" - sei keine Freiheit. "Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden." Lenin reagiert später auf diese Kritik mithilfe einer russischen Fabel: Er vergleicht Adler und Huhn und kommt zum Schluss, trotz ihrer Fehler sei und bleibe Luxemburg "ein Adler".
Als Rosa Luxemburg im November 1918 in Breslau aus der Haft entlassen wird, fährt sie nach Berlin und arbeitet als Redakteurin bei der "Roten Fahne", der Zeitung des Spartakusbunds. Diese Gruppe hatte sich bereits 1915 um Karl Liebknecht und Luxemburg als innerparteiliche Opposition formiert. Aus dem Spartakusbund wird zur Jahreswende 1918/1919 die Kommunistische Partei Deutschland (KPD), an deren Gründung auch Luxemburg beteiligt ist. Am 5. Januar 1919 kommt es zum Aufstand der linken Kräfte, eine Räterepublik soll errichtet werden. Doch wenige Tage später wird der schlecht vorbereitete Putsch von Regierungstruppen niedergeschlagen. Am 15. Januar 1919 werden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von Soldaten ermordet. Luxemburgs Leiche wird in den Landwehrkanal geworfen, wo sie erst Ende Mai 1919 gefunden wird. Für ihren Grabstein hatte sich Rosa Luxemburg nur zwei Silben gewünscht: "Zwi-zwi. Das ist nämlich der Ruf der Kohlmeisen, die ich so gut nachmache, dass sie sofort herlaufen."
Stand: 05.03.2016
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