Sein Leben endet nicht im Triumph: Nur elf Getreue geben dem am 14. März 1883 verstorbenen Karl Marx auf dem Londoner Friedhof Highgate das letzte Geleit. Seit der gescheiterten Revolution von 1848 hat der Philosoph mit seiner Familie im englischen Exil gelebt - geplagt von Geldnot und Krankheit. Vier seiner sechs Kinder starben vor ihm. Sein Hauptwerk "Das Kapital - Kritik der politischen Ökonomie" bleibt unvollendet. Dennoch prophezeit sein Freund Friedrich Engels in der Grabrede: "Sein Name wird durch die Jahrhunderte fortleben und so auch sein Werk." Engels behält Recht - zumindest was den kommunistischen Ostblock betrifft. Mit dem Fall der Mauer verliert der Marxismus 1989 allerdings seine stärkste Basis. Doch Marx' dialektisches Denken fasziniert noch immer: Sogar Banker und Börsianer studieren ihn als Experten des Kapitalismus. Globalisierungsgegner und Naturschützer schätzen ihn als schonungslosen Analytiker der kapitalistischen Gesellschaft.
Marx' zentrale Aussage über den modernen Kapitalismus fasst Michael Krätke, Professor für Politikwissenschaften und Ökonomie in Amsterdam, so zusammen: Einerseits handelt es sich um die bisher produktivste und fortschrittlichste Produktionsweise in der Geschichte, andererseits ist sie jedoch selbstdestruktiv und sorgt für Entfremdung, Ausbeutung und Elend. Der Kapitalismus zerstört demnach einzelne Menschen, gesellschaftliche Verhältnisse und die Natur. "Ein rationeller Umgang mit der Natur wird erst jenseits des Kapitalismus möglich sein, in einer anderen Gesellschaftsform und Produktionsweise", erklärt Professor Krätke. Diese andere Gesellschaftsform, die so genannte klassenlose Gesellschaft, beschwört Marx 1848 im "Kommunistischen Manifest": "Die Kommunisten erklären es offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung."
Schon in seiner Doktorarbeit setzt Marx Perspektiven für die Zukunft. Die Philosophie soll endlich nach Verwirklichung streben - so die Devise des am 5. Mai 1818 in Trier geborenen Rechtsanwaltsohnes: "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern." Marx sieht die Geschichte als eine gesetzmäßige Aufeinanderfolge von Klassenkämpfen. Er selbst ist aber kein Politaktivist. "Er war auch kein Agitator", sagt Professorin Beatrix Bouvier, Leiterin des Karl-Marx-Hauses in Trier. "Er war auch kein Volkstribun und sicherlich nicht der berühmteste Redner. Sein Instrument war das Schreiben." Allerdings habe er Mühe gehabt, seine Texte abzuschließen. Als redlicher Forscher habe er immer wieder alles ergründet: "Wenn etwas Neues eingetreten war, hat er neu angefangen." Marx' Werk ist ein Torso geblieben. 60 Forscher aus neun Ländern arbeiten heute an der Herausgabe der MEGA, der neuen 122-bändigen Marx-Engels-Gesamtausgabe. Ziel ist die Entschlüsselung des ursprünglichen Wortlauts der Marx-Texte. Denn Engels, der "Das Kapital" vollendet, hat postum viele Änderungen vorgenommen und neue Zusammenhänge hergestellt. Zudem haben weltweit Propaganda-Abteilungen der sozialistischen und kommunistischen Parteien aus dem Analytiker des Kapitalismus einen Dogmatiker gemacht. Das ging nur über grobe Vereinfachungen und Verfälschungen.
Stand: 14.03.08