Hochleistungs-Pferdesport steht immer auch in der Kritik, denn die Tiere müssen bei den Prüfungen an ihre körperlichen Grenzen gehen. Wie wohl sie sich dabei fühlen und wie die Menschen auf sie einwirken - das beschäftigt die Gesellschaft immer mehr.
Ein einschneidendes Ereignis seien die Olympischen Spiele 2021 gewesen, sagt Leonie Merheim von "Die mit den Pferden", dem erfolgreichen Tiktok- und Social-Media-Kanal des WDR. "Seitdem achtet die Gesellschaft viel stärker auf das Tierwohl, das hat auch den Reitsport beeinflusst", sagt Merheim.
Springrichter Ellenbruch: "Wir stehen unter Beobachtung"
Bei Olympia in Tokio hatte ein Vorfall im Modernen Fünfkampf mit Gerteneinsatz auf Trainerinnen-Kommando ("Hau richtig drauf!") für Entsetzen gesorgt. Es war der Anfang vom Ende des Springreitens im Modernen Fünfkampf, wo Teilzeit-Reiter auf ihnen zugelosten Pferden reiten müssen. Aber auch um das Pferdewohl im professionellen Reitsport gab es hitzige Debatten, nachdem sich ein Vielseitigkeitspferd bei Olympia verletzt hatte und eingeschläfert werden musste.
Stephan Ellenbruch, Springrichter beim CHIO Aachen
Auch Stephan Ellenbruch, Springrichter beim CHIO in Aachen, sieht Veränderungen. "Wir leben in modernen Zeiten, wir stehen unter Beobachtung, die Gesellschaft sieht auf uns", sagte er im Interview mit "Die mit den Pferden". "Wir müssen gut erklären, was wir tun. Wir müssen zeigen, dass wir es ernst nehmen mit dem Pferdewohl und dem Tierschutz, die Regeln entsprechend anpassen."
Zäumungen mit enormer Krafteinwirkung
Merheim sprach Ellenbruch auf zwei Themen an, die die Community auf Instagram immer wieder umtreiben. Zum einen sind das die Zäumungen, bestehend aus Kopfgestell sowie den Zügeln, mit denen die Reiterinnen und Reiter die Pferde führen und lenken. "Es gibt Gebisse, die die Zügeleinwirkung des Reiters vervielfachen", sagt Merheim. "Teilweise werden sie noch kombiniert, sodass die Reiter selbst bei leichter Zügelführung enorme Kraft auf das Pferd einwirken lassen können."
Die Grundsatzfrage ist: Könnten Spitzenreiter nicht auch mit sanfteren Zäumungen in der Lage sein, ihr Pferd zu steuern? "Meiner Meinung nach müsste der Weltverband FEI das auf internationalen Turnieren viel stärker reglementieren - mit Blick auf das Pferdewohl."
Sprungrichter Ellenbruch glaubt nicht, dass strengere Regeln nötig sind. "Es braucht eine gute Kontrolle. Bevor ein Reiter überhaupt in eine Prüfung einreitet, überprüfen die Stewards das Pferd mit seiner Ausrüstung darauf, ob es regelkonform ist. Wir als Richter beobachten das dann noch während der Prüfungen."
Die Unabhängigkeit der Richter
Das andere Thema: Wie unabhängig können Richter sein, wenn sie vom Veranstalter nominiert werden? In der Hoffnung, auch im nächsten Jahr eingeladen zu werden, könnten sie eher im Sinne des Veranstalters als im Sinne des Pferdes richten.
"Ich kenne die Kritik und verstehe sie auch", sagt Ellenbruch, "aber es ist nicht ganz so scharz-weiß. Hier gibt es immer einen Wechsel in der Jury. Außerdem gibt es auf jedem Turnier die Foreign Officials", also ausländische Offizielle. Dazu zähle ein Richter, der vom Weltreiterverband bestimmt werde und jedes Jahr ausgetauscht werde, damit es eine Unabhängigkeit gebe, sagte Ellenbruch.
Ein von der FEI bestimmter Richter - reicht das?
"Genauso gibt es auf jedem Turnier einen foreign Steward und einen ausländischen Tierarzt, sodass in all diesen Entscheidergruppen immer mindestens eine Person ist, die komplett unabhängig ist, weil sie eben bestimmt wird."
Merheim wünscht sich dagegen noch mehr Unabhängigkeit. "Sinnvoller wäre es aus meiner Sicht, alle Offiziellen vom Weltverband bestimmen zu lassen, weil die anderen ein Interesse haben, wieder eingeladen zu werden."
Community fordert Tierwohl-Berichte ein
Seit 2019 berichtet der Kanal "Die mit den Pferden" über Spitzen- und Breitensport - und mit steigender Tendenz über Tierwohl-Themen, sagt Merheim. "Wir wollen das kritisch abbilden - und unsere Community fordert das auch ein."