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WDR 5 - Tagesgespräch mit Julia Schöning
 Sabiha Gökçen, Pilotin

21. März 1913 - Die Pilotin Sabiha Gökçen wird geboren

Sie nutzt die Chancen der türkischen Kulturrevolution im 20. Jahrhundert: Sabiha Gökçen ist die erste türkische Pilotin und die erste Kampfpilotin der Welt. Gefördert wird sie vom Modernisierer Kemal Atatürk.

Bursa, eine Stadt im Nordwesten der Türkei: Hier lebt die 12-jährige Sabiha unter Obhut ihrer älteren Geschwister, als 1925 Mustafa Kemal auf der Durchreise in der Nähe Station macht. Sie möchte den Staatschef und Gründer der türkischen Republik unbedingt kennenlernen. Als er im Garten spazieren geht, ergreift das Waisenmädchen seine Chance: "Ich ging auf ihn zu und sagte ihm, dass ich gern eine gute Ausbildung haben möchte, aber meine Familie nicht die Mittel dafür hat."

Mustafa Kemal ist von Sabihas Bildungshunger beeindruckt. "Er fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, bei ihm zu leben, wenn er mich adoptiert." Mit der Erlaubnis ihres großen Bruders wird Sabiha eines der acht Adoptivkinder des Staatspräsidenten und erhält eine fundierte Ausbildung. Das passt zu seiner Politik, den Staat nach westlichem Vorbild umzugestalten und unter anderem das mitteleuropäische Rechtssystem einzuführen, das Männer und Frauen gleichberechtigt.

Aushängeschild für Atatürks Modernisierung

Im Rahmen der Reformen wird nicht nur der islamische Rechtskodex abgeschafft. Auch die traditionelle islamische Kleidung muss einem europäischen Dresscode weichen. 1934 wird zudem das Gesetz für Nachnamen verankert. Der Staatspräsident erhält von der Großen Nationalversammlung den Nachnamen Atatürk ("Vater der Türken"). Die 21-jährige Sabiha erhält von ihrem Adoptivvater den Nachnamen Gökçen ("Die Himmlische").

Im Jahr darauf besucht sie mit Kemal Atatürk eine Flugshow und begeistert sich für die Fliegerei. Mit Unterstützung ihres Vaters kann sie als erste Frau die Akademie der neuen türkischen Flugschule absolvieren. Sabiha Gökçen wird die erste türkische Pilotin und später die erste Kampfpilotin der Welt - eine Vorzeigefrau der türkischen Republik.

Sabiha Gökcen, erste Kampfpilotin der Welt (Geburtstag, 21.03.1913)

WDR ZeitZeichen 21.03.2023 15:11 Min. Verfügbar bis 21.03.2099 WDR 5


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Beteiligung an Kampfeinsatz gegen Kurden

1935 geht Sabiha Gökçen als einzige Frau mit sechs Kollegen per Schiff zu einem Fluglehrgang auf die Krim. Danach fliegt sie mit einer Propellermaschine nach Moskau, um dort ihre Flugausbildung fortzusetzen. Als sie dort vom mutmaßlichen Suizid ihrer Adoptivschwester Zehra erfährt, bricht sie die Ausbildung ab. Sie kehrt nach Istanbul zurück und verfällt in eine tiefe Depression. Erst im folgenden Jahr setzt Sabiha Gökçen an der militärischen Flugschule in Eskisehir ihre Ausbildung fort.

Insgesamt 22 verschiedene Flugzeugtypen - sowohl Propellermaschinen als auch Jets - steuert Sabiha Gökçen im Laufe ihrer Flugkarriere. Ihren ersten militärischen Einsatz hat die Pilotin im Sommer 1937: Sie beteiligt sich an einem Kampfeinsatz gegen aufständische Kurden in der ostanatolischen Provinz Tunceli, was ihr später von Kritikern vorgeworfen wird.

Namensgeberin für Istanbuler Flughafen

1938 stellt Atatürk in Ankara seine Adoptivtochter einer Balkan-Delegation vor. Daraufhin wird sie zu einer Balkantour eingeladen, über die die Weltpresse berichtet. Ihr Flug dauert sechs Tage und führt sie über Athen nach Sofia, Belgrad und Bukarest. Zurück in Istanbul wird Gökçen wie ein Popstar empfangen. Doch sie eilt zum schwerkranken Staatspräsidenten auf seiner Luxusjacht. Zwei Monate später, am 10. November 1938, stirbt Atatürk. Sabiha, die am 21. März 1913 in Bursa geboren wurde, ist zu diesem Zeitpunkt 25 Jahre alt.

Die Pilotin fliegt weiter. Sie wird zur Leiterin der zivilen Flugschule ernannt. 1951 nimmt sie freiwillig am Koreakrieg teil und unterstützt als Kampffliegerin die UN-Truppen. Mit 83 Jahren steuert Gökçen 1996 ein letztes Mal ein Flugzeug. Im selben Jahr wird sie als einzige Frau von der renommierten US -"Maxwell Air Force Base" in die Reihe der berühmtesten 20 Piloten der Luftgeschichte aufgenommen. Am 22. März 2001 stirbt Sabiha Gökçen in Ankara - kurz nach der Einweihung des zweiten Istanbuler Groß-Flughafens, der heute ihren Namen trägt.

Autorin des Hörfunkbeitrags: Melahat Simsek
Redaktion: Matti Hesse

Programmtipps:

ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 21. März 2023 an Sabiha Gökçen. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.

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