26. April 1972 - Der Scharfrichter Johann Reichhart stirbt in Dorfen
Stand: 20.04.2022, 15:47 Uhr
Er tötet mehr als 3.150 Menschen - ganz legal. Johann Reichhart arbeitet in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und nach dem Zweiten Weltkrieg als Henker. Einige Hingerichtete tragen bekannte Namen.
22. Februar 1943, Gefängnis Stadelheim in München: Ab 17 Uhr köpft Scharfrichter Johann Reichhart binnen Minuten die Geschwister Scholl und Christoph Probst - drei Mitglieder der "Weißen Rose", die Widerstand gegen den NS-Staat geleistet haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg erzählt Reichhart, wie stolz Sophie Scholl in den Tod gegangen sei: "Ich habe noch nie jemanden so sterben sehen."
Reichhart spricht über die Hinrichtung, als ob er bloß Zuschauer gewesen wäre. Für ihn ist bis zum Lebensende klar: Die Urteile haben andere gesprochen, er hat sie nur vollstreckt. Der fromme Katholik weist jede Verantwortung von sich. "Ich möchte noch betonen, dass ich immer den größten Wert darauf gelegt hatte, dass die Vollstreckungen human und schnell durchgeführt werden."
Vom Metzger zum Henker
Der 1893 geborene Johann Baptist Reichhart stammt aus einer bayerischen Abdecker-Familie, die seit 1750 auch den Beruf des Henkers erledigt. Nach einer Metzgerlehre nimmt er am Ersten Weltkrieg teil und wird 1917 traumatisiert entlassen. Vorübergehend schließt er sich dem kommunistischen Spartakusbund an.
1924 übernimmt Reichhart von seinem Onkel das Amt des Scharfrichters in Bayern. Sein erster Fall ist ein Frauenmörder. Doch bald geht ihm die Arbeit aus. In der Weimarer Republik wird die Todesstrafe immer seltener verhängt. Als Zusatzverdienst verteilt Reichhart erst christliche Erziehungspamphlete, dann verkauft er in den Niederlanden Gemüse und Vibratoren.
Pro Kopf bezahlt
Anfang der 1930er-Jahre fährt Reichhart nur noch bei Bedarf zu Hinrichtungen nach Deutschland. Das ändert sich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten. Die Nachfrage nach seiner Tätigkeit steigt deutlich. In der Weimarer Zeit tötete Reichhart etwa zwei Dutzend Menschen, in der NS-Zeit bis zu 3.000.
Da er pro Kopf bezahlt wird, ist Reichhart bald vermögend. 1943 verdient er 45.000 Reichsmark - etwa 15 Mal so viel wie ein Arbeiter. Er fährt mit seiner zusammenklappbaren Enthauptungsmaschine, dem Fallbeil, durch das ganze Reich.
Auch für US-Besatzer tätig
Nach dem Zweiten Weltkrieg geht Reichharts Karriere zunächst weiter: Im Auftrag der US-Militärregierung bringt das ehemalige NSDAP-Mitglied mehr als 150 verurteilte NS-Kriegsverbrecher um. Doch während des anschließenden Entnazifizierungsverfahrens wird Reichhart für eineinhalb Jahre interniert.
Danach ist Reichhart zunehmend isoliert. Seine Frau verlässt ihn, sein Sohn begeht 1950 Suizid. Am 26. April 1972 stirbt der frühere Henker verarmt im bayerischen Dorfen.
Autor des Hörfunkbeitrags: Heiner Wember
Redaktion: Gesa Rünker
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ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 26. April 2022 an Johann Reichhart. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
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