Martin Hecht – Einsamkeit als gesellschaftliches Problem
Wir leben in einer einsamen Gesellschaft. Übersteigerte Ansprüche an das Ich, Selbstoptimierung und eine uneingeschränkte Selbstentfaltung haben das Wir-Gefühl verdrängt. Weshalb das für den Einzelnen, aber auch für jede Demokratie eine Gefahr bedeutet, analysiert Martin Hecht.
In Großbritannien ist 2018 ein Einsamkeitsministerium ins Leben gerufen worden. Die Bundesregierung hat ein ganzes Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Einsamkeit in den unterschiedlichen sozialen Gruppen geschnürt. Und auch die schwarz-grüne NRW-Landesregierung hat sich den Kampf gegen Einsamkeit in der Gesellschaft auf ihre Fahnen geschrieben.
Allerdings stellt sich die Frage, ob die vielen Maßnahmen, von Quartiersentwicklung über Seniorenlotsen bis zu Hilfetelefonen, nicht den Kern des Problems verfehlen. Denn für den Politikwissenschaftler Martin Hecht liegen die eigentlichen Ursachen für die wachsende Isoliertheit des modernen Menschen tiefer: "Aus dem Selbstentwurf ist ein gesellschaftlicher Entwurf geworden, eine Idee, wie 'man' zu sein hat, um man selbst zu sein."
Individualismus ist "konfektioniert" und unterliegt einem ungeheuren Anpassungsdruck. Wenn gelingende Selbstoptimierung aber davon abhängt, sich diese durch möglichst viele Klicks und "Likes" in den sozialen Medien bestätigen zu lassen, geraten all diejenigen ins gesellschaftliche Abseits, die diese Selbstperfektion verfehlen.
Die wachsende Zahl vereinsamter Seelen am Rande der Gesellschaft stellt ein Risiko für jede Demokratie dar: Denn, so Martin Hecht, Enttäuschung und Frust führten zu Protest und Aggression und am Ende zur Ablehnung des gesamten politischen Systems.
Buchtipps:
Martin Hecht: Die Einsamkeit des modernen Menschen. Wie das radikale Ich unsere Demokratie bedroht. Bonn: Dietz Verlag. 2021. 204 S., 18,00 €, ISBN: 978-3- 8012-0588-1
Martin Hecht: Gruppe und Graus. Rudelbildung im 21. Jahrhundert. Springe: zu Klampen Verlag. 2023. 160 S., 20,00 €, ISBN: 978-3-86674-993-1
Redaktion: Chris Hulin
