Jedes Mal, wenn der Busfahrer sie an einer neuen Adresse abliefert, fühlt sich Jola wie ein Paket, das irgendwo abgestellt wird. Nie weiß sie, wer sie erwartet, was ihr bevorsteht. Mal wird sie angeschrien, weil sie das Duschgel auf dem Badewannenrand abgestellt hat, dort aber nur die Sachen der "seniorka" stehen dürfen. Mal sind Putzlappen nicht richtig gefaltet. Dann wieder kann die Gattin eines Professors die Nähe nicht ertragen, die sich zwischen ihrem Mann und Jola entwickelt.
Als eine Hamburger Arztfamilie ihr zum ersten Mal ein anständiges Gehalt mit Sozialabgaben und eigenem Apartment anbietet, ist es für Jola wie ein Sechser im Lotto. Doch auch die Nähe zur Patriarchin Uschi muss sie sich hart erarbeiten. Immer wieder streut Mia Raben polnische Wörter und Redewendungen ein, die sie sofort übersetzt: So bekommen Jola und ihr Land eine eigene Präsenz, eine eigene Stimme.
Auf rund 160 Seiten gelingt es ihr voll und ganz, Druck, Ermüdung, Demütigung polnischer Pflegerinnen in immer neuen Facetten zu schildern. Man spürt, dass sie akribisch recherchiert und viele "Betrojerinki" interviewt hat. Auf den letzten sechzig Seiten nimmt der Roman dann einige rasante Wendungen und bietet fast ein Happy End.
Viele überraschende Versöhnungen finden da statt, und für Jola ergeben sich plötzlich wunderbare Perspektiven. Die Leserschaft muss an dieser Stelle selbst entscheiden, ob sie das nun rührselig und unglaubwürdig findet. Oder aber märchenhaft und hoffnungsfroh.
Eine Rezension von Andrea Lieblang
Literaturangaben:
Mia Raben: Unter Dojczen
Kjona Verlag, 2024
224 Seiten, 23 Euro