Lesefrüchte
"Dieses Meer, dieses unerbittliche Meer" von Francesca Maria Benvenuto
Stand: 22.08.2024, 17:45 Uhr
In ihrem Debütroman "Dieses Meer, dieses unerbittliche Meer" zeigt die neapolitanische Strafrechtlerin Francesca Maria Benvenuto, was es heißt, als Kind in die Fänge der Camorra zu geraten.
Zeno, der Ich-Erzähler, ist fünfzehn. Seit er zwölf ist, fährt er für einen Drogendealer kleine kostbare Päckchen in den Quartieri von Neapel aus. Jetzt sitzt er auf der Insel Nisida vor der Stadt im Jugendknast. Er hat einen Gleichaltrigen umgelegt. Es war Notwehr, doch das Jugendgericht sah es anders.
Im Knast trifft er zum ersten Mal im Leben auf eine Lehrerin, die es gut mit ihm meint. Sie macht einen Deal mit ihm: Er soll sein Leben aufschreiben. Dafür bekommt er zwei Tage Freigang an Weihnachten, um seine geliebte Mammà wiederzusehen. Voller Elan schreibt er, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Die von ihm nur "Professoressa" genannte Lehrerin erkennt sein Schreibtalent und spürt, dass dieser schmächtige Junge kein durchtriebener Mörder ist. Doch sie merkt auch, dass Zeno sein hartes Leben geliebt hat. In den Quartieri war er wer, dort hatte er eine Würde, die ihm der Knast genommen hat.
Francesca Maria Benvenuto ist ein großartiges Debüt gelungen: Keine Sozialromanze, in der alles gut wird, wenn sich Zeno nur genug anstrengt. Schon im Titel des Romans klingen Zweifel an: "Dieses Meer, dieses unerbittliche Meer". Zeno, der sehnsüchtig auf Weihnachten wartet, spürt, dass das Meer für IHN nie ein Symbol unendlicher Freiheit sein wird.
Eine Rezension von Andrea Lieblang
Literaturangaben:
Francesca Maria Benvenuto: Dieses Meer, dieses unerbittliche Meer
Aus dem Italienischen von Christine Ammann
Verlag Antje Kunstmann, 175 Seiten, 22 Euro