Buch der Woche
"Yoko" von Bernhard Aichner
Stand: 09.08.2024, 08:52 Uhr
Du hast keine Chance, also nutze sie: In seinem neuen Roman "Yoko" treibt der österreichische Schriftsteller Bernhard Aichner seine Heldin – und seine Leserinnen und Leser – durch einen serpentinenhaften Plot steil und hoch bis zum Gipfel des Erträglichen. Thriller in Reinform, Genre im Konzentrat.
Zur falschen Zeit am falschen Ort. Die Erfahrung kennt jeder. Ist alltäglich. Meistens hat das ja keine großen Folgen. Nur so ein Gefühl. Bei Yoko, der Heldin von Bernhard Aichners neuem Roman, ist es diesmal ganz anders: Eine klitzekleine alltägliche Begegnung, und alles wird sich umkehren, nichts mehr sein wie zuvor – auch sie selbst wird eine ganz andere sein. Im Guten, wie im Schlechten. Sofern sie überlebt.
Yoko hat einen ungewöhnlichen Beruf: Sie stellt Glückskekse her. Die Einzigen, die schmecken. Beim Ausliefern überrascht sie beim Hintereingang eines Chinarestaurants zwei Männer, düstere Typen, die auf einen kleinen Hund eintreten. Yoko zeigt Zivilcourage, und das macht sie zum Opfer. Die Männer, Teil des organisierten Verbrechens, entführen und vergewaltigen sie, in einem Exzess aus Gewalt. Was die Männer nicht wissen können, was auch Yoko zunächst nicht weiß: Dieser Übergriff ist nicht nur an sich traumatisch, sondern triggert auch ein älteres Trauma an, das Yoko vergessen und verdrängt hatte.
Sie hat nur eine Chance, dem zu entfliehen: Rache. Yoko muss vom Opfer zur Täterin werden. Und damit geht die Story dieses Thrillers erst so richtig los – Ausgang offen.
Mit Bernhard Aichner ist es so eine Sache: Der Innsbrucker Autor, Fotograf, Dramaturg und Künstler ist als Thriller-Schaffender international hoch anerkannt und in Österreich ein Star mit Bestsellergarantie. In Deutschland dagegen will es mit dem ganz großen Erfolg (noch) nicht so ganz klappen.
Warum auch immer, und vielleicht kann “Yoko“ das jetzt ja ändern: Ein meisterhaft arrangierter, unfassbar spannender, hoch eleganter und extrem konzentrierter Thriller. Reduktion und Konzentration aufs Wesentliche, das beherrscht Bernhard Aichner wie wenige andere – seine Highspeed-Thriller sind auch ästhetisch herausragend, und zwar wegen ihrer literarischen Mittel, nicht wegen des bloßen Effekts.
Yoko ist eine Person, die einem so schnell nicht mehr aus dem Hirn schwindet, auch lange nach der Lektüre. Eine typische Aichner-Figur, ein wenig wesensverwandt mit seiner "Totenfrau" Brünhilde Blum, deren unfassbare Abenteuer auch als Netflix-Miniserie durchzuschütteln wissen. Yoko ist übrigens keine Asiatin, mit ihrem Namen hat's eine eigene Geschichte auf sich. Eine Figur mit enormem Potential jedenfalls. Sofern sie überlebt, eh klar.
Eine Rezension von Ulrich Noller
Literaturangaben:
Bernhard Aichner: Yoko
Wunderlich (Rowohlt), 336 Seiten, 23 Euro