Buch der Woche
"Möchte die Witwe angesprochen werden..." vonSaša Stanišić
Stand: 28.05.2024, 13:22 Uhr
Mit viel Herz, Humor und Empathie für sein Personal erzählt Saša Stanišić in dem Erzählungsband "Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne" von den Härten des Lebens, den Hoffnungen und Utopien.
Gleich zu Beginn, in der Erzählung "Neue Heimat", erzählt Stanišić von einer Jugendclique, die von einem "Proberaum für das Leben" träumt. Sollte ihnen der Raum gefallen, könnten sie sich direkt "einloggen". In den 12 Erzählungen begleiten die Leser Menschen aller Altersstufen, von 8 bis 80 Jahren bei der Suche nach neuen Lebensentwürfen.
Da bekommt zum Beispiel eine Reinigungskraft in Wien in "Traumnovelle" eine "Auszeit von der Zeit" geschenkt. Alles um sie herum erstarrt und sie kann nun in Ruhe ihre Lebensentscheidungen neu überdenken. Es ist nicht die einzige Erzählung, in der die Zeit hier stehen bleibt und aus Utopien Lebensmöglichkeiten werden.
Zugleich gibt es in diesen Erzählungen auch viele autobiografische Anspielungen Stanišićs. Wir erfahren wie ein Hochsitz zu seinem Lese- und Geschichtenerfindungsort wurde; wie er von Heinrich Heine inspiriert nach Helgoland reist, und sich dort in einem Spiel mit der Wahrheit und einer erfundenen Geschichte selbst als Autor begegnet.
Geradezu zärtlich begleitet der Erzähler in der Titelgeschichte eine Witwe bei den Friedhofsbesuchen am Grab ihres gerade verstorbenen Mannes und wie sie sich dort an die Fluchtgeschichten als Kind mit ihrer Mutter erinnert, aber auch auf den Schleswig-Holsteinischen Landesmeister im Broteschmieren trifft, der ihr Leben aufhellt.
Es ist diese Mischung aus Einfühlsamkeit und Humor, die diese Erzählungen zu einem Lektüregenuss machen. Eine Rezension von Terry Albrecht
Literaturangaben:
Saša Stanišić: Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne
Luchterhand Verlag, 2024
256 Seiten, 24 Euro