Buch der Woche
"Hey, guten Morgen, wie geht es dir?" von Martina Hefter
Stand: 11.10.2024, 14:19 Uhr
Mit spielerischer Leichtigkeit in die Untiefen des Lebens, poetisch und präzise: Martina Hefters für den Deutschen Buchpreis nominierter autofiktionaler Roman erzählt eine sehr persönliche Geschichte der Gegenwart. Unbedingt empfehlenswert: Parallellektüre mit Jan Kuhlbrodts "Krüppelpassion".
Im Grunde erzählt Martina Hefter eine Dreiecksgeschichte, allerdings mit einem stillen Teilhaber: Juno, um die 50, ist Tänzerin und Performancekünstlerin, sie lebt zusammen mit ihrem Partner in Leipzig, unter prekären Kulturschaffendenumständen. Ihr Mann, das ist der Mensch im Nebenzimmer, den sie umsorgt und (ver-)pflegt, denn er ist chronisch krank. Jupiter, so nennt sie ihn, bleibt blass, er spielt eher in Konturen eine Rolle.
Juno ist aufmerksam und liebevoll; allerdings auch voll eingespannt, die Betreuungsverpflichtung regelt und bestimmt ihr Leben. Freiraum findet sie im Netz: In der Kommunikation mit Lovescammern; Typen also, die mit Fakeprofilen Beziehungen mit einsamen Frauen aufzubauen suchen, um schließlich deren Wohlstand abzuschöpfen. Zumindest virtuell verfügt Juno über einen solchen Wohlstand, und sie nimmt sich die Freiheit, ihre Spielchen zu treiben, so wie die Scammer ja auch mit ihr spielen.
Dann allerdings "trifft" sie Benu, einen 32jährigen aus Nigeria. Irgendetwas finden die beiden aneinander; aus den Spielchen heraus entwickelt sich im Virtuellen eine Beziehung, die zunehmend auch Elemente von etwas "Echtem" entfaltet. Wo kann das wohl hinführen?
“Hey guten Morgen, wie geht’s Dir?“ ist Vieles in Einem: Künstlerinnenroman, Memoir, Zeitdiagnose, Beziehungsgeschichte. All diese Dimensionen zaubert Martina Hefter mit leichter Hand, spielerisch, konzentriert, präzise und immer wieder hochpoetisch jongliert sie die Bälle über dem Abgrund der Untiefen des Lebens – ihres eigenen Lebens. Na ja, zumindest bis zu einem gewissen Grad; ein autofiktionaler Text, der auf dem Grat tänzelt.
Der stille Teilhaber dieser merkwürdigen Dreiecksbeziehung hat eine große Bedeutung, bleibt aber weiter im Hintergrund. Phasenweise schafft er es ja auch kaum, das Bett zu verlassen. Allerdings schimmert aus seinem Zimmer immer wieder das blaue Licht des Laptops. Auch der Partner schreibt – und vermutlich arbeitet er genau da an dem Roman "Krüppelpassion".
Der stammt vom Dichter und Schriftsteller Jan Kuhlbrodt, ist 2023 erschienen. Ebenfalls ein autofiktionaler Text. Hefter & Kuhlbrodt im Doppelpack zu lesen, das ist ein zusätzliches Aha-Erlebnis. Aus den Untiefen zweiter Leben, die auch eines sind, ohne jede Bitterkeit, trotz allem. Erstaunlich, wie viel diese beiden Romane gemeinsam haben, obwohl sie ganz unterschiedlich sind. Insofern: Eine Hommage an die Liebe, wie man sie so sicher noch nicht zu lesen bekam.
Eine Rezension von Ulrich Noller
Literaturangaben:
Martina Hefter: Hey guten Morgen, wie geht es Dir?
Kett-Cotta, 2024
224 Seiten, 22 Euro
Jan Kuhlbrodt: Krüppelpassion
Gans Verlag, 2023
240 Seiten, 30 Euro