Autorin im Gespräch
Julia Jost über "Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht"
Stand: 09.02.2024, 12:02 Uhr
Wie ein Wimmelbild entfaltet Julia Jost in ihrem Debütroman Episoden der Familien- und Dorfgeschichte im Kärnten der 90er Jahre, wo es viel Skurriles und auch noch braune Gesinnung gibt.
Es beginnt mit dem Klassenfoto aus der Volksschule, und aus dem kleinen Detail baut sich ein phantastisches Ganzes auf. Die junge Erzählerin ist noch fest eingelassen in die Welt der Erwachsenen, der Großeltern, Eltern und Kärntner Familien mit ihren grotesken Geschichten von Scham und Versehrtheit, von Eigensinn, Schicksal und Bigotterie.
Nach und nach wird alles zu einem Tableau, aus dem sich das Mädchen, das lieber ein Junge wäre, herausschreibt. Das gelingt ihr durch eine erstaunliche Erzählperspektive: Die Zwölfjährige hockt am Tag des Umzugs der Familie unter einem Lastwagen und beobachtet knieabwärts die Beine der Helfenden.
Wie in Theaterübungen, wo nur ein Ausschnitt zu sehen ist, entwickelt Julia Jost die irrwitzigen Geschichten ihrer Figuren und versieht sie mit detailreichen Ornamenten, zeitgeschichtlichen Einschüben oder Naturbetrachtungen, zugleich erzählt sie von den eigenen Vorstellungen und Ängsten.
Auf diesem Boden leicht zweifelhafter Moral wächst ein widerständiges Pflänzchen heran, das in der Gesellschaft von Schützenverein, Katzlteich, Bigotterie und Vetternwirtschaft mit braunen Wurzeln ganz andere Blüten treibt:
Die pfiffige Erzählerin und passionierte Anglerin würde niemals ein Kleid tragen, sorgt sich um den Tod eines Mitschülers und ist in Luca verliebt, die Tochter der aus Bosnien stammenden Familie, die auf dem Hof hilft. Wer die Kunst des selbstironischen Fabulierens liebt oder Schalk für eine dynamische Kraft hält, sich am eigenen kurzen Schopf aus einem Sumpf zu ziehen, der und dem sei dieser durchkomponierte Ausflug in die Welt unter den Karawanken wärmstens ans Herz gelegt.
Eine Rezension von Bettina Hesse
Literaturangaben:
Julia Jost: Wo der spitzeste Zahn der Karawanken in den Himmel hinauf fletscht
Suhrkamp, 2024.
231 Seiten, 24 Euro.