Aktuelle Lyrik
"Gesang eines womöglich ausgestorbenen Wesens" von Marianne Jungmaier
Stand: 08.03.2024, 14:42 Uhr
Marianne Jungmaiers neuer Gedichtband "Gesang eines womöglich ausgestorbenen Wesens" ist eine Begegnung mit der Natur, die in ihrer scheinbaren Idylle und vermeintlichen Stille Erinnerungsräume offenbart.
Jungmaiers lyrisches Ich wandert durch Wälder, an Bächen, Seen, Tälern und Gebirgen entlang und öffnet den Blick für kleine Details. So laden fächergroße Blätter zum Nachdenken über das Fliegenlernen ein, Bäume werden zu Freunden und der Rhythmus von Werden und Vergehen wird zu einem Sehnsuchtsklang, der so intensiv ist, dass man am liebsten zu Tau werden möchte.
Marianne Jungmaier entwirft in insgesamt 19 Gedichten eine eindrucksvolle, intime und aus der persönlichen Erfahrung heraus entstandene Naturbegegnung, die keineswegs naiv oder beschönigend daher kommt. So erscheint die Natur stellenweise als eine beschädigte oder in Beton und Metall eingepferchte Gesamtheit, die Raum einbüßen muss, sich aber immer wieder behauptet und sich dem Fluß der Jahreszeiten hingibt.
Marianne Jungmaiers Sprache ist klangvoll und sonor. So vergleicht die 1985 in Linz geborene Lyrikerin das Knacken der sich im Wind wiegenden Äste mit Morsezeichen oder beschreibt einen lichtdurchfluteten Wald als einen, der "in drei Farben schnurrt". Aus dem, was Jungmaier als lyrisches Ich wahrnimmt, entstehen neue Bildwelten, die in Worte geformt fast schon hyperrealistische Sphären beinhalten.
"Gesang eines womöglich ausgestorbenen Wesens" hinterfragt indirekt auch die Rolle des Menschen auf der Erde und lädt dazu ein, sich mit der Natur zu verbinden und die eigene Existenz nicht ständig nach Sinn und Zweck zu hinterfragen. Und so heisst es in Marianne Jungmaiers Gedicht "Tiefen" treffenderweise: Im Spiel mit dem Wind stellt schäumend in Kronen einzig der See die Frage nach dem Grund“.
Eine Rezension von Claudia Cosmo
Literaturangaben:
Marianne Jungmaier: Gesang eines womöglich ausgestorbenen Wesens. Gedichte
Mit Illustrationen von Ursula Kiesling
Otto Müller Verlag, 2024
64 Seiten, 24 Euro