Videosequenz aus „Tannhäuser“ bei den Bayreuther Festspielen 2019

26.07.2019 – Wagner, "Tannhäuser" bei den Bayreuther Festspielen

Stand: 26.07.2019, 13:50 Uhr

Die Aufführung beginnt mit einem eindrucksvollen Drohnenflug über die Wartburg. Die Kamera nimmt dann einen alten Citroën-Bus ins Visier, in dem eine Kleinkunsttruppe durch die Landschaft fährt, angeführt von einer zierlichen, aber energischen Venus am Steuer. Mit dabei die Dragqueen Le Gateau Chocolat, der Blechtrommler Oskar Matzerath und ein trauriger Clown: Tannhäuser.

Dieser Bus ist der Venusberg und kein anderer als der Citroën-Bus der Perfomancekünstlerin Marina Abramović, mit dem sie und ihrer Partner Ulay Ende der Siebzigerjahre durch Europa zogen. Als es bei einem Tankdiebstahl zu einem Polizistenmord kommt, weiß der Tannhäuser-Clown, dass er nicht länger mitmachen kann.

Er landet begleitet von dem Hirten, der ein Fahrrad schiebt, vor dem Festspielhaus. Den Pilgerchor singen die Festspielbesucher. Und die Ritter, halb kostümiert, haben gerade Pause, trinken Bier und überreden Tannhäuser, an ihrer Aufführung mitzumachen.

Dann ist erst einmal eine Stunde Pause - wie üblich in Bayreuth -, aber die Aufführung geht am Teich am Fuß des Festspielhügels mit einer Performance der Dragqueen weiter. Le Gateau Chocolat singt in wechselnden Kostümen Hits der Popmusik und mit seiner Bassstimme die Elisabeths berühmte Hallenarie, genauso wie er es bei seinen Auftritten in englischen Clubs auch tut. Oskar sitzt im Schlauchboot und grölt Parolen, der Citroën steht am Rand. Echte Polizisten bewachen die Performance.

Der zweite Akt erinnert an die "Tannhäuser"-Inszenierung von Wieland Wagner aus dem Jahr 1955: Eine angedeutete Wartburg-Halle, gerade ausgerichtete Bankreihen, strenge Kostüme, nur Elisabeth in einem weißen, madonnenhaften Kleid und Krone sticht hervor. Lise Davidsen gibt ihr mit ihrer Körpergröße von 1,88m die Gestalt einer alles überragenden Statue.

Der Sängerwettstreit gerät zur Nebenhandlung, denn die Kleinkunsttruppe hat das Festspielhaus über eine Leiter geentert und vorher an der Fassade noch ein Plakat aufgehängt mit Wagner Parolen aus seiner Dresdner Revolutionszeit. Das alles wird in der oberen Bühnenhälfte in einem Live-Video gezeigt und plötzlich sind die drei real auf der Bühne und es kommt zu einer Konfrontation der etablierten Kunst mit der Freakkunst. Die Filmsequenzen und die Bühnenhandlung werden auf höchst virtuose Weise ineinander gemischt, denn es gibt immer noch eine Parallelhandlung hinter den Kulissen, die die eigentliche Geschichte erzählt, etwa die Eifersucht Wolframs, der Elisabeth begehrt, die routinierte, leicht aggressive Lässigkeit der Ritter, die den Sängerwettstreit nicht so richtig ernst nehmen. Am Ende kommt es bei den Worten des Landgrafs „Ein furchtbares Verbrechen ward begangen“ zu einem Polizeieinsatz und Tannhäuser wird abgeführt.

Zweite Pause: das Festspielpublikum strömt nach draußen und sieht dort tatsächlich die Leiter und das Transparent. Im dritten Aufzug herrscht Trostlosigkeit. Die Pilger, eben noch Festspielbesucher, sind nun Penner und sammeln Metallreste auf einem Schrottplatz, auf dem auch der Citroën steht. Wolfram und Elisabeth begegnen sich. Für sie ist der Schrottplatz ein Zufluchtsort ihrer unterdrückten Begehrungen. Denen gibt sie sich hin, indem sie Wolfram regelrecht vergewaltigt. Sein Lied an den Abendstern, wunderbar gesungen von Markus Eiche, ist dann pure Resignation.

Tannhäuser berichtet als langhaariger Verwahrloster in der Romerzählung von seinem Scheitern. Bei Stephen Gould klingt das in seiner brüchigen und doch kraftvollen Stimme wie ein letztes kontrolliertes Aufbäumen. Er steht unter einem riesigen Plakat, das die Dragqueen nun als Werbeikone für teure Uhren zeigt, vereinnahmt vom Kommerz. So sind beiden Kunstwelten, die alternative wie die etablierte, am Ende nichts mehr wert.

Diese Inszenierung von Tobias Kratzer ist eine geschickte Vermischung von Realität, Bühnenhandlung und filmischer Fiktion, eine Livedokumentation, voll von Anspielungen, meistens humorvoll, aber nie platt. Es ist eine Aufführung fürs Auge. Die Musik gerät fast zur Nebensache. Schuld daran hat aber auch Valery Gergiev mit seinem konfusen Dirigieren. Wenn mehr als drei Personen auf der Bühne waren, geriet der Klang und die Koordination regelmäßig aus der Balance. Nur selten, wenn er mit dem Orchester allein war, in den Vorspielen zum ersten und dritten Aufzug, gelang so etwas wie ein spannungsvolles Piano. Eindeutig zu wenig und wahrscheinlich eine Folge der komplizierten akustischen Verhältnisse im Festspielhaus mit dem abgedeckten Orchestergraben, denen man nur mit sorgfältigen Proben beikommen kann, wofür Gergiev ja nicht gerade bekannt ist.

Bei Sängern machte Markus Eiche als Wolfram mit seiner klangvollen und kontrollierten Stimme und seinem feinen Gestaltungswillen den größten Eindruck. Die junge Lise Davidsen als Elisabeth, mit viel Vorschusslorbeeren bedacht, bekam ihre dröhnende Stimme vorläufig nicht in den Griff, die zierliche Elena Zhidkova als Venus hat ein schönes, rundes Timbre, aber man verstand kein Wort. Und der alte Recke Stephen Gould, der schon mehr als hundertmal den Tannhäuser gesungen hat, wirkt immer angestrengt, was ja durchaus zur Partie passt, zeigte aber trotzdem keinerlei konditionelle Schwächen. Schön aber, wie er sich auf die Rolle des traurigen Clowns und des verwahrlosten Pilgers eingelassen hat. Tobias Kratzer entlockte ihm schauspielerische Qualitäten, von denen man bisher nichts wusste.

Premiere: 25.07.2019

Besetzung:
Landgraf Hermann: Stephen Milling
Tannhäuser: Stephen Gould
Wolfram von Eschenbach: Markus Eiche
Walther von der Vogelweide: Daniel Behle
Biterolf: Kay Stiefermann
Heinrich der Schreiber: Jorge Rodriguez-Norton
Reinmar von Zweter: Wilhelm Schwinghammer
Elisabeth, Nicht des Landgrafen: Lise Davidsen
Venus: Elena Zhidkova
Ein junger Hirt: Katharina Konradi
Le Gateau Chocolat: Le Gateau Chocolat
Oskar: Manni Lautenbach

Orchester der Bayreuther Festspiele
Chor der Bayreuther Festspiele

Musikalische Leitung: Valery Gergiev
Regie: Tobias Kratzer
Bühne und Kostüme: Rainer Sellmaier
Licht: Reinhard Traub
Video: Manuel Braun
Dramaturgie: Konrad Kuhn
Chorleitung: Eberhard Friedrich