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19.11.2021 – Wagner, „Das Rheingold“ in der Kölner Philharmonie

Stand: 19.11.2021, 09:30 Uhr

Opern von Richard Wagner in historischer Aufführungspraxis, das hat es schon vorher gegeben, zum ersten Mal 2004 mit dem „Fliegenden Holländer“ beim WDR und der Cappella Coloniensis. Durch das groß angelegte Projekt „Wagner-Lesarten“, dessen Vorbereitungen schon seit einigen Jahren laufen, wurde ein neues Kapitel aufgeschlagen. In der Kölner Philharmonie war jetzt eine grandiose Aufführung des „Rheingold“ mit Concerto Köln unter Kent Nagano zu bestaunen, bei der vieles anders war als bei einer Aufführung im Opernhaus selbst oder gerade in Bayreuth.

Der wichtigste Teil dieser „Wagner-Lesarten“ ist die Erforschung des historischen Gesangsstils. Wagner schwebte ein Singen vor, dass vom theatralen Sprechen kommt. Das ist etwas ganz anderes als das auf Kraft, Lautstärke und dramatischen Überdruck ausgerichtete Wagner-Singen heutzutage. Dazu gehört eine überdeutliche Aussprache und ein am Sprechtempo orientierter Vortrag. Zusammen mit dem etwas kleiner (obwohl immer noch mit über 90 Personen) besetzten Orchester auf historischen Instrumenten gelang es in Köln den Sängern mühelos, jedes Wort wie im Sprechtheater zu artikulieren, etwa in dem dann fast komisch wirkenden Dialog zwischen Loge und Mime, als der seine Qualen, die er durch Alberich erfährt, lautmalerisch beklagt. Dazu gehört auch, dass immer wieder der emphatische Gesangsvortrag bei Schlüsselbegriffen verlassen wird, z. B. wenn Fricka ausruft, ja ausspricht „… giert ihr Männer nach Macht“.

Zum sprachnahen Singen gehört auch der weitgehende Verzicht auf waberndes Vibrato. Durch all das erlebt man Wagners „Rheingold“ als ein neues Theaterstück: es ist ein temporeiches, bilderreiches, tragikomisches Schauspiel und das alles ohne Szene, die in Köln auf intelligente Weise durch Mimik und Gestik (übrigens auch historisch legitimiert) ersetzt wurde.

Es ist erstaunlich, dass die 14 Solisten, selbst der für den erkrankten Julian Prégardien kurzfristig eingesprungene Thomas Mohr als Loge, sich auf diese Art des Spielens und Vortragens verstanden. Da macht es auf einmal Sinn, in Derek Welton einen fast jugendlich unbekümmerten Wotan zu erleben, und in Stefanie Irányi eine nicht mehr herrische, sondern besorgte, beunruhigte Gattin Fricka. Und vor allem einen Alberich, den Daniel Schmutzhard als den vielschichtigsten Charakter an diesem Abend vorstellte.

Neue Erkenntnisse auch beim Orchester. Über die Vorzüge (für manche auch Nachteile) der historischen Klangkörper ist viel geschrieben worden, z.B. über den transparenten und durchsichtigen Klang oder die reduzierte Lautstärke. Was aber Kent Nagano mit Concerto Köln an diesem Abend gelang, war noch etwas anderes: ein in Klangfarben redendes Orchester. Die Nibelheimszene tönt in grellen Gegensätzen zwischen scharf und hell. Reiner Klang sind auch das martialisch dumpfe Stampfen bei den Riesen oder das plötzlich fahle Leuchten bei den Verwandlungsszenen. All das waren mehr als nur musikalische Illustrationen, sondern eine Art von szenisch-musikalischer Regie. Man spricht immer von den Wagnerschen Leitmotiven, die das Geschehen auf der Bühne kommentieren sollen. Das hatte immer etwas von einer Knobelaufgabe für wissende Wagnerianer. Diesmal aber gelang eine unmittelbare, modern gesprochen, immersive musikalische Vermittlung der Szene. Und das war oft alles andere Als Schönklang, aber es war szenisch plausibel, bis hin zu den zirpenden rechts und links auf der Bühne platzierten Harfen, die dem Einzug der Götter nach Walhall eine beiläufig ironische Note gaben.

Einzige Aufführung: 18.11.2021
Das Konzert wird zu einem späteren Zeitpunkt als Video auf philharmonie.tv bereitgestellt.

Besetzung:
Wotan: Derek Welton
Donner: Johannes Kammler
Loge: Thomas Mohr
Froh: Tansel Akzeybek
Fricka: Stefanie Irányi
Freia: Sarah Wegener
Erda: Gerhild Romberger
Alberich: Daniel Schmutzhard
Mime: Thomas Ebenstein
Fasolt: Tijl Faveyts
Fafner: Christoph Seidl
Woglinde: Ania Vegry
Wellgunde: Ida Aldrian
Floßhilde: Eva Vogel

Concerto Köln
Leitung: Kent Nagano