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11.08.2021 – Mozart, „Don Giovanni“ bei den Salzburger Festspielen

Stand: 11.08.2021, 10:30 Uhr

Dieser „Don Giovanni“ ist anstrengend. Wer einfach nur Mozarts und Lorenzo da Pontes „Dramma giocoso“ erleben wollte, war bei dem Dirigenten Teodor Currentzis und dem Regisseur Romeo Castellucci fehl am Platz. Sie haben aus dem Stück eine ausladende Installation macht, ein Machwerk, musikalisch wie szenisch. Das heißt aber nicht, dass es nicht auch gelungene Szenen im klassischen Theatersinn gegeben hätte.

Was auf der Bühne veranstaltet wird, ist leicht aufgezählt: Zuerst wird eine barocke Kirche profaniert. Die sakralen Gegenstände werden von einer Umzugsfirma abmontiert und mit Gabelstapler weggeschafft. Später fallen vom Schnürboden herunter: ein PKW, ein Konzertflügel, ein Rollstuhl, eine Kutsche... Die sogenannte Registerarie singt Leporello an einem Fotokopierer. So geht es den ganzen ersten Akt immer weiter.

Nadezhda Pavlova (Donna Anna) im 2. Akt von „Don Giovanni“

Nadezhda Pavlova (Donna Anna) im 2. Akt von „Don Giovanni“

Im zweiten Akt ist Schluss mit dem symbolischen Requisitentheater. Jetzt sind es Tänzerinnen und 100 Statistinnen, Frauen aus Salzburg, wie es im Programmbuch heißt, alle namentlich aufgezählt, die den Bühnenraum bevölkern und gliedern, in einer Choreographie von Cindy van Acker. Sie knäueln sich, sie formieren sich zu einem Bataillon, sie gruppieren sich wie in einem Tableau vivant zu einer Tempelszene bei Donna Annas Arie „Non mi dir“, immer in zartrosa-farbene Gewänder gehüllt.

Ganz sicher steckt darin viel Hintersinn. Man kann all das, wenn man will, mit Hilfe des Programmbuchs auch entschlüsseln. Im Grunde geht es Castellucci aber um etwas anderes, um Entpersonalisierung. Die schiere Zahl der Frauen auf der Bühne wirkt wie ein elementarer Rückschlag auf das, was Don Giovanni diesem Geschlecht angetan hat. Diese Frauengruppen bilden Typen aus: mal ist es der Donna-Elvira-Typus, die sich nach Häuslichkeit und Treue sehnende Frau im biederen Fünfzigerjahre Kostüm, mal ist es der Typus der heroischen, edlen Frau wie Donna Anna, mal ist es er Typus der begehrenswerten Frau in hautfarbener und doch züchtiger Unterwäsche wie Zerlina.

Auch die Männer sind entpersonalisiert. Don Giovanni und Leporello kann man gar nicht unterscheiden, äußerlich und stimmlich nicht. Sie sind noch nicht einmal Typen, sondern stellen eine diabolische Kraft dar, wie Castellucci sagt. Don Ottavio tritt in vielerlei Gestalt auf als Operettenoffizier, als Polforscher Amundsen, als lasziver Las-Vegas-Showstar mit Schleppe, oder mit gekröntem Haupt, eine vage Figur ohne Charakter.

Es ist ein installiertes Theater der Assoziationen und Typisierungen, so dass am Schluss der Oper folgerichtig die Menschen versteinern wie beim Vesuvausbruch in Pompei.

Einen Installationsansatz verfolgt auch Teodor Currentzis. Bei ihm ist es ein Aufspalten, Zergliedern, Modellieren und Anreichern der Partitur. Z.B. in den Rezitativen, die Maria Shabashova am Hammerflügel beinahe frei improvisierend gestaltet. Da hört man auf einmal clusterartige dissonante Akkorde oder auch dahin geworfene Melodiefetzen.

Neu Installiert werden von Currentzis aber auch etliche der auskomponierten Nummern, und dabei fördert er echte musikalische Erkenntnisse zu Tage. Meistens gelingt ihm das durch eine extreme Beanspruchung des Tempos und der Dynamik. Don Ottavios „Dalla sua pace“ erklingt im zartesten Piano und in spannungsvoller Dehnung. Donna Annas „Non mi dir“ ebenfalls im bebenden Piano und mit dahin geworfenen – und frei verzierten - Koloraturen wie eine Königin der Nacht, allerdings ohne deren Furor. Den zeigt Nadezhda Pavlova im ersten Akt bei „Or sai chi l’onore“, als sie von der Vergewaltigungsszene berichtet und wie eine Elektra Rache fordert.

Überhaupt waren sie und Michael Spyres als Don Ottavio an diesem Abend die besten Sänger. Ihre Aufritte waren echte Glanznummern, bei denen sie sich willig in das Musiklabor von Currentzis einspannen ließen. In den langen Ensembleszenen der Aktfinali hingegen entglitten ihm seine Versuchsanordnungen.

Orakelhafter Castellucci oben, Musikchemiker Currentzis unten, doch manchmal verbrüderten sich auch Szene und Musik, was bei Mozart eigentlich immer das Schönste ist. Im Duettino „Là ci darem la mano“ ist Davide Luciano als Don Giovanni auf einmal richtig zart und verführerisch und Anna Lucia Richter als Zerlina hingebungsvoll. Man sieht es, und man hört es. Aber solche echten Theaterszenen waren an diesem Abend die Ausnahme.

Leporello ist, wie gesagt, das Alter Ego von Don Giovanni. Vito Priante gibt seiner Figur – auch stimmlich - mehr Profil und lenkt den Titelheld mehr, als er von diesem benutzt wird. Federica Lombardi als Donna Elvira hat es schwer, weil sie wie in „Mi tradì“ ihre Koloraturen nicht im Griff hatte und sich auch im Orchester an dieser Stelle Konfusionen einstellten.

Ja, und dann muss man auch noch Don Giovannis Champagnerarie erwähnen. Davide Luciano macht daraus einen souveränen Parforceritt. Aber er nicht alleine, denn das Orchester wird plötzlich hochgefahren und im Rhythmus mit Stroboskopblitzen durchleuchtet. Was ist das: Mozart als Discomusic oder ein gewaltsamer Fingerzeig, dass bei Mozarts nichts ohne das Orchester geht?

Premiere: 26.07.2021, besuchte Vorstellung: 10.08.2021

Besetzung:
Don Giovanni: Davide Luciano
Il Commendatore: Mika Kares
Donna Anna: Nadezhda Pavlova
Don Ottavio: Michael Spyres
Donna Elvira: Federica Lombardi
Leporello: Vito Priante
Masetto: David Steffens
Zerlina: Anna Lucia Richter

musicAeterna Choir
musicAeterna Orchestra

Musikalische Leitung: Teodor Currentzis
Choreinstudierung : Vitaly Polonsky
Regie, Bühne, Kostüme und Licht: Romeo Castellucci
Choreografie: Cindy Van Acker
Dramaturgie: Piersandra Di Matteo