Eine Treppe vor einem Sandsteingebäude mit bunten Kerzen, Blumen und Plakaten für den verstorbenen Malte

Gewalttat beim CSD: Zivilcourage - wie geht das?

Stand: 05.09.2022, 06:00 Uhr

Der tragische Tod von Malte C. zeigt einmal mehr: Zivilcourage kann einen hohen Preis haben. Dennoch geht es nicht ohne, heute mehr denn je. Für Mutige gibt es Tipps, wie man helfen kann, ohne sich selbst zu gefährden.

Von Nina Magoley

Malte C. musste sterben, weil er den Mut hatte, sich einzumischen. In eine Situation, die bedrohlich gewirkt haben muss - und für die meisten Menschen wahrscheinlich verängstigend. Ein weiterer Fall, in dem ein Mensch für seine Zivilcourage bitter bezahlen muss. Drei queerfeindliche Übergriffe pro Tag zählt der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD). Allein auf den letzten CSD-Veranstaltungen in Jena, Berlin oder Bielefeld seien Menschen angefeindet oder verprügelt, Regenbogenflaggen von aggressiven Angreifern zerrissen worden, sagt Sprecher René Mertens.

"Queerfeindlichkeit geht uns alle an", sagt er im WDR5-Interview, jeder könne ins Fadenkreuz von Hass-Gewalttätern kommen, die massiv zuschlagen, wenn Menschen nicht ihren Vorstellungen von Geschlechterrollen entsprechen. Sein Appell: "Wir brauchen mehr Solidarität in der Gesellschaft."

Und das gilt sicher nicht nur beim Thema Homophobie oder Queerfeindlichkeit. Auch bei rassistisch oder antisemitisch motivierten Pöbeleien oder Angriffen sind die Opfer oft auf Menschen angewiesen, die den Mut haben, einzugreifen. Aber wie geht das?

Wichtig sei, sagt Mertens, nicht alleine zu handeln: "Bringt euch nicht in Gefahr", warnt er, "holt euch Unterstützung". Wer sich unsicher sei, könne zum Handy greifen und die Polizei rufen - "auch das ist Zivilcourage". Der einzige Fehler, den Menschen in solchen Situationen machen könnten: "Weggucken und die Situation ignorieren."

Strategie "Opferklau"

Sich selbst nicht in Gefahr bringen, das rät auch das Bundesnetzwerk Zivilcourage. Dennoch könne man wirksam aktiv werden, sagt Sprecherin Silke Gorges. Der Ansatz, den das Netzwerk verfolgt: Das Opfer in den Fokus nehmen. "Häufig schreiten Menschen mit erzieherischen Maßnahmen ein, indem sie dem Aggressor impulsiv sagen wollen, wie falsch er liegt", sagt Gorges. Das aber führe oft zu weiterer Eskalation. Ihr Rat: Statt dessen versuchen, das Opfer aus der Situation herauszuholen, im besten Fall aus dem Sichtfeld des Angreifers zu entfernen. "Opferklau" nennt das Bundesnetzwerk Zivilcourage diese Strategie.

"Zuvor sollte man sich Unterstützung suchen, andere Menschen ansprechen", rät auch Gorges, "'in etwa hey, komm mal mit, ich brauche Deine Hilfe'". Gemeinsam dann möglichst ruhig aber entschlossen das Opfer wegziehen - und dem Angreifer keinen Raum mehr lassen. "Das funktioniert oft gut deeskalierend", sagt Silke Gorges.

Auf der Homepage des Bundesnetzwerks Zivilcourage findet eine Liste von Verhaltenstipps für brenzlige Situationen:

"Paradoxe Intervention": Das Opfer überraschend ansprechen

Eine andere Möglichkeit: die sogenannte "paradoxe Intervention". Heißt: Man nähert sich dem Opfer mit einem völlig anderen Anliegen, das die aktuelle Situation komplett ignoriert. "Zum Beispiel nach der nächsten Bushaltestelle fragen: 'Kannst Du mir den Weg dorthin zeigen'." Der Überraschungsmoment könne helfen, die Situation zu entschärfen. Aber wichtig: "Paradoxe Intervention ist nur dann angezeigt, wenn noch keine Gewalt im Spiel ist", sagt Gorges. Zum Beispiel bei rassistischen Pöbeleien.

Wer eine Situation beobachtet, in der es bereits zu Gewalt kommt, sollte als erstes die Polizei rufen. Wenn möglich, die Szene auch im Video festhalten - für spätere Dokumentation oder als Zeugenbeweis. Dann sollte man Unterstützung holen. Und nach dem Vorfall unbedingt in der Nähe des Opfers bleiben, sagt Gorges, ihm oder ihr beistehen. Das werde in solchen Situation oft vergessen - "aber es hilft den Betroffenen enorm - zu merken, ich bin nicht allein".

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