Wie die hohen Zinsen die Ungleichheit zwischen NRW-Kommunen vergrößern
Stand: 28.02.2024, 19:00 Uhr
Kaum Geld für den laufenden Betrieb und erst recht keins, um in die Zukunft zu investieren: Viele NRW-Kommunen sind exorbitant hoch verschuldet. Wie können diese Kommunen ihre Finanzen wieder in Ordnung bringen – und eine lebenswerte Zukunft gestalten?
Von Johannes Kolb, WDR Wirtschaftsredaktion
Im Oberhausener Knappenviertel soll im Sommer 2024 eine neue Gesamtschule entstehen: Die Schule mit vielen Grünflächen, großen Sporthallen und Platz für insgesamt 1.344 Schülerinnen und Schüler ist die größte Einzelinvestition der Stadt seit Jahren. "Dieses Projekt ist eine große und seltene Chance für Oberhausen" sagt Oberbürgermeister Daniel Schranz. Selten deswegen, weil seine Stadt hochverschuldet ist. Fast zwei Milliarden Euro tief ist Oberhausen in den Miesen und führt damit die Liste der Pro-Kopf-Verschuldung aller NRW-Kommunen an.
Ungefähr der Hälfte der Kommunen in NRW geht es - wenn auch weniger drastisch - wie Oberhausen: Sie sind seit Jahrzehnten hochverschuldet. "Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht liegt das nicht daran, dass Kommunen nicht mit Geld umgehen können. Die Ursache liegt viel mehr in einem strukturellen Problem", schreibt das Aktionsbündnis "Für die Würde unserer Städte", in dem sich über 60 Kommunen aus sieben Bundesländern für eine gerechtere Kommunalfinanzierung einsetzen.
Gewerbesteuer fließt hier nicht mehr.
Ein Großteil der Kommunen im Aktionsbündnis stammt aus NRW, wo es überproportional viele Gemeinden gibt, die stark vom Wegfall der Kohle- und Stahlindustrie und dem damit verbundenen Strukturwandel geprägt sind. Seitdem die Zechen und Stahlwerke stillstehen, sind auch die Gewerbesteuereinnahmen der betroffenen Gemeinden eingebrochen. Gleichzeitig müssen strukturschwache Kommunen mehr Geld für soziale Leistungen ausgeben, weil dort mehr Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger leben. Eine doppelt schwierige Situation, von der sich viele Kommunen seit langem nicht erholen konnten. Gerade im Ruhrgebiet ist das Durchschnittseinkommen vielerorts nach wie vor im Vergleich niedrig.
Ein Schuldenberg steht jeder Investition im Weg
Apostolos Tsalastras ist Kämmerer der Stadt Oberhausen
"Es geht darum, möglichst allen Menschen in Deutschland gleichwertige Lebensverhältnisse zu ermöglichen. Das ist natürlich in der Haushaltssituation, in der wir sind, ungleich schwieriger als in Kommunen mit viel Geld", sagt Apostolos Tsalastras, Kämmerer der Stadt Oberhausen. Er muss trotz leerer Kassen dafür sorgen, dass in Oberhausen Spielplätze gepflegt, Schulen saniert oder die Feuerwehr einsatzfähig gehalten wird.
Für den Neubau einer Schule wie beispielsweise im Oberhausener Knappenviertel gibt es verschiedene Fördermittel, die Kommune muss solche Kosten im Normalfall nicht alleine tragen. Aber selbst dem findigsten Kämmerer wird es nicht gelingen, für alle unerwarteten Ausgaben Fördertöpfe zu finden. Oft ist die einzige Lösung für hochverschuldete Kommunen, um ihre städtischen Aufgaben wahrzunehmen, noch mehr Schulden aufzunehmen. Was bei Privatleuten der "Dispo-Kredit" ist, sind bei Städten und Gemeinden sogenannte "Kassenkredite", also Schulden, die zur kurzfristigen Liquiditätssicherung aufgenommen werden. Ab 100 Euro Schulden in Form von Kassenkrediten pro Einwohner spricht man von sogenannten "Altschulden".
Wie Bau- oder Konsumkredite orientieren sich auch die Kassenkredite für Städte und Gemeinden am allgemeinen Zinsniveau. Über ein Jahrzehnt lang, von ungefähr 2009 bis 2022, war es daher kein großes Risiko für Städte und Gemeinden, sich über Kassenkredite zu finanzieren. Die Zinsen waren historisch niedrig, frisches Geld zum Investieren oder zum Stopfen von kurzfristigen Löchern im Haushalt war fast kostenlos.
Zeitpunkt zur Lösung der Altschulden verpasst: Was das für die Kommunen bedeutet
Ungefähr dreizehn Jahre lang wäre es durch die niedrigen Zinsen verhältnismäßig günstig gewesen, die Altschulden-Problematik zu lösen. Doch Bund und Länder konnten sich nicht auf eine gemeinsame Lösung einigen.
Vor allem die finanzstarken Bundesländer wollten kein Geld beisteuern, von dem fast ausschließlich NRW als das Land mit den meisten hochverschuldeten Kommunen profitieren würde. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne): "Meine Aufgabe ist es jedenfalls nicht, die Schulden der Kommunen in anderen Ländern zu bezahlen". Bayerns Finanzminister, Albert Füracker (CSU): "Bayern ist strikt gegen eine Altschuldenübernahme."
Mit den Zinsen ist auch der Preis gestiegen, um das Schuldenproblem der Kommunen zu lösen - und zuerst werden ihn die finanzschwachen Kommunen zahlen. "Die Kredite, die wir zu null Prozent oder knapp darüber abgeschlossen haben, die über eine lange oder mittelfristige Laufzeit verfügt haben, die laufen jetzt alle aus und werden dann neu verzinst mit ungefähr vier Prozent", sagt Oberhausens Kämmerer Apostolos Tsalastras. Selbst, wenn die Stadt keine neuen Kredite aufnehmen sollte, wird die Zinsbelastung so in den nächsten Jahren immer weiter ansteigen. "Im Prinzip nehmen wir jetzt Kredite auf, um die Zinsen zu bezahlen."
Ohne Hilfe von außen ist das Altschulden-Problem der Kommunen nicht mehr zu lösen. NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) hatte im Sommer 2023 daher einen Vorschlag eingebracht: Das Land NRW soll die eine Hälfte der insgesamt 19,7 Milliarden Euro Altschulden der Kommunen übernehmen, die andere Hälfte der Bund.
Scharrenbachs Vorschlag sah vor, dass Kommunen mit niedrigen Steuereinnahmen und hohem Finanzbedarf mehr Geld vom Land bekommen sollen. Da die Gesamtsumme für alle Kommunen aber gesetzlich gedeckelt ist, hieße mehr Geld für die eine Kommune gleichzeitig Verluste für die andere. Ein Nullsummenspiel, bei dem hochverschuldete Städte auf Kosten finanzkräftigerer Kommunen profitieren würden.
An dem Vorschlag hagelte es Kritik von allen Seiten: von den Kommunen selbst und von Experten bei einer Landtagsanhörung. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) lehnte den NRW-Plan gleich ganz ab:
Ministerin Ina Scharrenbach (CDU) hatte die Altschulden-Regelungen für Kommunen daraufhin auf das Jahr 2025 verschoben.
Es dauert also noch, bis eine grundsätzliche Lösung für die hochverschuldeten Kommunen in NRW greifbarer wird. Apostolos Tsalastras und die Stadt Oberhausen warten darauf schon lange. "Es gab eine Zeit, da waren 4 Prozent eine geringe Zinsbelastung. Das Problem ist nicht die Zinshöhe momentan, sondern die hohe Verschuldung.", sagt Tsalastras. "Es bräuchte eine Altschuldenregelung, eine auskömmliche Finanzierung der Aufgaben, die wir haben, und Investitionshilfen, um die Zukunftsaufgaben bewältigen zu können."
Über dieses Thema berichtet der WDR am 29.02.2024 auch im WDR 5 Wirtschaftsmagazin.