Arbeiter stehen auf einem Baugerüst an einem Rohbau. Symbolbild

Ostwestfälische Genossenschaften trotzen Baukrise

Stand: 24.06.2024, 06:00 Uhr

Trotz der anhaltenden Baukrise möchten Wohnungsgenossenschaften bezahlbaren Wohnraum schaffen. Dafür müssen sie kreativ werden – und kritisieren Politik und manche Unternehmen.

Von Steven Hartig

Stark gestiegene Baupreise, weniger Baugenehmigungen, weniger Neuaufträge. Der Wohnungsbau in ganz Deutschland steckt aktuell in einer tiefen Krise. Doch was bedeutet das für die regionalen Wohnungsbaugenossenschaften in Ostwestfalen? Eine stichprobenartige WDR-Umfrage zeigt: Um weiterhin neue bezahlbare Wohnungen zu schaffen, werden sie kreativ – und drängen auf politische Unterstützung.

Abreißen oder aufstocken

Wer Wohnungen bauen möchte, braucht Platz. Manche Genossenschaften berichten aber, Grundstückspreise hätten sich in den letzten Jahren teils verdoppelt. In Minden und Paderborn reißen Genossenschaften deshalb lieber alte Wohnungen ab, um dort neuzubauen.

Das Ergebnis: Mehr Wohnungen auf gleicher Fläche, oft in topmodern, aber deutlich weniger Wohnungszuwachs als bei traditionellem Neubau.

Viele anderen bauen lieber in die Höhe. Solche extra Dachgeschosse, die oben aufgesetzt werden, gibt es zum Beispiel in Bielefeld und Lemgo. Eine Herforder Genossenschaft experimentiert aktuell mit seriellem Bauen, also dem Bau typengleicher Häuser an verschiedenen Orten. Auch das soll Aufwand und Kosten sparen.

Spagat zwischen bezahlbaren Mieten und Neubau

Die größte Bielefelder Wohnungsgenossenschaft Freie Scholle nimmt "die jetzige Situation am Markt nicht unbedingt zum Anlass, mehr oder weniger zu bauen". Etwa 190 Wohnungen sind laut Freie Scholle kürzlich fertiggestellt worden, aktuell im Bau oder in der konkreten Planung.

Noch zurückhaltender klingen andere Genossenschaften, zum Beispiel die Wohnbau Lemgo mit über 2.000 Wohnungen im Kreis Lippe: "Klare Priorität hat für uns in den kommenden Jahren die Entwicklung des vorhandenen Wohnungsbestandes." Soll heißen: Jetzt modernisieren, später neubauen – zu niedrigeren Kosten, so die Hoffnung.

"Wir sehen unsere genossenschaftliche Aufgabe nicht darin, exklusiven Wohnraum für 15 Euro aufwärts Kaltmiete anzubieten." Wohnbau Lemgo

Wer die Genossenschaften fragt, woran es hakt oder was ihnen helfen würde, bekommt diverse Vorschläge zu hören – und viel Frust. Handwerksleistungen seien vereinzelt ungerechtfertigt teuer, staatliche Fördertöpfe unterfinanziert und Baustandards maßlos kompliziert.

Scharfe Kritik an Bürokratie und Landesförderung

Die Bielefelder Freie Scholle sagt, Bauregularien würden permanent zunehmen und Genehmigungsverfahren sich "stark in die Länge ziehen". Andere sprechen sogar von einem "Bürokratiemonster", von einem "Baurecht, das noch die letzte Schraube reglementiert".

Ein kleines, aber anschauliches Beispiel: Auch wer bei einem Haus nur das Dachgeschoss ausbauen will, muss erneut belegen, dass im Erdboden keine Kampfmittel aus dem Zweiten Weltkrieg lauern. Das mache "keinen Sinn", sagt die kleine Genossenschaft Bielefelder Wohnungsverein.

Die Stadt Bielefeld dementierte diese Vorschrift auf Anfrage nicht.

Fördertöpfe für Wohnraumförderung überlastet

Ina Scharrenbach, CDU, NRW

Ina Scharrenbach (CDU)

Ein weiteres Problem: Die Landestöpfe für Wohnraumförderung reichen nicht aus, um alle Anträge NRW-weit zu erfüllen. Mehrere Genossenschaften berichten von einer "massiv anwachsenden Unsicherheit". NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (CDU) bestätigt gegenüber dem WDR eine "erhöhte Fördernachfrage".

Die Folge: "Die Bewilligungsbehörden sind das erste Mal seit Jahren in der Lage, aus Projekten wirklich auswählen zu können." Die Fragen, die sie sich stellen könnten seien:

"Was kann dieses Jahr tatsächlich in den Bau gehen, was wird definitiv erst in späteren Jahren begonnen? An welchen Örtlichkeiten macht welches Projekt wirklich Sinn?" Ina Scharrenbach, NRW-Bauministerin

Sollten Bauprojekte in OWL leer ausgehen, was wahrscheinlich ist, hätte das spürbare Folgen. Ohne Fördermittel möchte zum Beispiel die Bau- und Siedlungsgenossenschaft für den Kreis Herford gar nicht mehr bauen.

Gab es ungerechtfertige Kostensteigerungen?

Der Bielefelder Wohnungsverein behauptet zudem, die stark gestiegenen Baupreise seien nicht nur durch hohe Rohstoffpreise entstanden: "Aus unserer Sicht haben einige Unternehmen die Situation ausgenutzt und ihre Preise deutlich erhöht. Beim Gewerk Elektrotechnik sind die Sprünge deutlich erkennbar."

Ostwestfälische Genossenschaften trotzen Baukrise

WDR Studios NRW 24.06.2024 00:45 Min. Verfügbar bis 24.06.2026 WDR Online


Ein Sprecher des Verbands für Elektrotechnik in OWL kann auf Anfrage nicht ausschließen, dass bei den Preisen "überproportional aufgeschlagen" wurde. Elektrobetriebe hätten so versucht, ihren Deckungsbeitrag zu erhöhen – wegen der Unsicherheiten im Markt und und wegen stark gestiegener Materialkosten, zum Beispiel für Kupfer. Außerdem hätten Elektrobetriebe ihre Preise in den Jahren davor nur gering erhöht.

Über dieses Thema berichten wir auch im Radio auf WDR2 in der Lokalzeit OWL am 24.06.2024.

Unsere Quellen:

  • Baugenossenschaft Freie Scholle
  • Spar- und Bauverein Paderborn
  • Bau- und Siedlungsgenossenschaft für den Kreis Herford
  • Genossenschaft für Siedlungsbau und Wohnen Minden
  • Wohnbau Lemgo
  • Bielefelder Wohnungsverein
  • Gemeinnützige Baugenossenschaft Brackwede
  • Stadt Bielefeld
  • Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung NRW
  • VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik