Gut besucht: Christmette im Kölner Dom 2022

Darum sind Weihnachten die Kirchen so voll - trotz vieler Kirchenaustritte

Stand: 24.12.2023, 18:37 Uhr

2023 gab es wieder zahlreiche Kirchenaustritte in NRW. Aber selbst Mitglieder zieht es nur selten in die Kirchen. Zu Weihnachten jedoch sind sie voll. Warum das so ist - und wer überhaupt kommen darf.

Von Jörn SeidelJörn Seidel

Die Glocken läuten zum Gottesdienst. Ein Tannenbaum funkelt neben dem Altar. Voll ist es auf den Kirchenbänken. Trotzdem wird es still und andächtig. "O du fröhliche"! Jetzt ist Heiligabend. Jetzt ist endlich Weihnachten.

Zu Weihnachten sind die Kirchen voll

Für unzählige Menschen in NRW gehört der Kirchenbesuch zu Weihnachten genauso dazu wie die Bescherung. In den Gotteshäusern ist es so voll wie sonst selten. Vielleicht auch deshalb, weil auch viele derer kommen, die mit der Kirche und ihrem Glauben stark hadern? Und auch die, die womöglich längst aus der Kirche ausgetreten sind?

Die Zahl der jährlichen Kirchenaustritte in NRW erreichte 2022 einen Rekord. Etwa 223.500 Menschen kehrten den christlichen Kirchen den Rücken - dreimal so viele wie fünf Jahre zuvor.

Zahl der jährlichen Kirchenaustritte offenbar rückläufig

Noch ist das Jahr nicht vorbei. Eine stichprobenhafte WDR-Anfrage bei fünf Amtsgerichten in NRW zeigt aber bereits: Auch in diesem Jahr gab es wieder viele Kirchenaustritte - wenn auch deutlich weniger als im Vorjahr.

Bistum Münster: Willkommen sind alle

Kommen dürfen jedenfalls alle, auch wenn sie ausgetreten sind. "Zu den Weihnachtsgottesdiensten sind alle Menschen willkommen, die sie mitfeiern möchten, unabhängig davon, ob sie Mitglieder der Kirche sind oder nicht", sagt Anke Lucht, Sprecherin des Bistums Münster, dem WDR.

Man bedaure auch nicht, dass die Kirchen zu Weihnachten voller sind als sonst und Menschen anlocken, die selten bis nie in der Kirche sind. "Wir freuen uns, dass diese Menschen Weihnachten nach wie vor mit Gott verbinden und uns eine Chance geben, sie anzusprechen und mit ihnen Weihnachten zu feiern", betont Lucht.

Das sieht auch ihr Kollege Daniel Meier von der Evangelischen Kirche im Rheinland so, wie er dem WDR sagt:

"Wenn jemand aus der Kirche ausgetreten ist, ist er natürlich trotzdem herzlich willkommen." Daniel Meier, Sprecher der Evangelischen Kirche im Rheinland
Dr. Daniel Meier, Pressesprecher der Evangelischen Kirche im Rheinland

Daniel Meier, Evangelische Kirche im Rheinland

Ob bei manchen Ausgetretenen überhaupt Interesse besteht und wie viele von ihnen zu Weihnachten in den Gottesdienst kommen, das wisse man nicht vorab, sagt Meier.

Dass Gottesdienste meist viel weniger gut besucht sind als zu Weihnachten, sieht Meier gelassen. Das sei einfach eine Entwicklung, die sich auch woanders zeige. Bei Vereinen beobachte man ebenfalls viel weniger Bindung. Punktuell seien die Menschen aber gerne dabei - zum Beispiel bei einzelnen Aktionen oder bei vollen Gottesdiensten zu Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen, Einschulungen oder Katastrophen.

Weihnachten auch ohne Gott und Gottesdienst

Es geht natürlich auch ohne Gott und Gottesdienst: Die Geburt Christi und der Gottesglaube lassen sich auch ohne Kirche zelebrieren. Außerdem feiern viele Menschen Weihnachten auch völlig ohne Bibelgeschichte und Glauben. Tatjana Schnell, Psychologie-Professorin und Sinnforscherin an der Universität Innsbruck, erklärt das auf WDR-Anfrage so:

"Gefeiert wird eine Geburt, eine Familiengeschichte. Und hier können viele anknüpfen, auch ohne Bezug auf den explizit christlichen Gehalt der Weihnachtsgeschichte." Tatjana Schnell, Psychologie-Professorin, Uni Innsbruck
Prof. Tatjana Schnell, Psychologin/Sinnforscherin, Universität Innsbruck

Tatjana Schnell, Psychologin, Uni Innsbruck

Einen Grund, weshalb die Kirchen zu Weihnachten so voll sind, erkennt sie unter anderem im Moment des Innehaltens: "Nach einer oftmals hektischen Zeit der Vorbereitung - Deko, Baum, Geschenke - ist der Weihnachtsgottesdienst eine Zeit, in der ich nichts mehr tun muss." Dort dürfe man sein, "ohne etwas zu leisten, zu beweisen".

"Rituale wie dieser Gottesdienst folgen einer anderen Logik als unser Alltag", sagt Schnell. "Sie schaffen überhaupt erst einen Unterschied zwischen Alltag und Feier-Tag, zwischen Profan und Heilig." Vor allem in Krisenzeiten komme die Frage nach dem "Heiligen" auf, also "nach dem, was für uns unantastbar und verehrungswürdig ist".

Gefühl der Zugehörigkeit

Hinzu komme das Gemeinschaftsgefühl, sagt Schnell: "Das Ritual des Weihnachtsgottesdienstes bietet Raum, Gemeinschaft zu feiern. Geprägt von uralten, liturgischen Formen und gleichzeitig stattfindend auf allen Erdteilen, machen wir eine rar gewordene Erfahrung: die der Zugehörigkeit."

Und das alle Jahre wieder.

Unsere Quellen:

  • Amtsgerichte in NRW, auf WDR-Anfrage
  • Anke Lucht, Sprecherin des Bistums Münster, auf WDR-Anfrage
  • Daniel Meier, Sprecher der Evangelischen Kirche im Rheinland, auf WDR-Anfrage
  • Tatjana Schnell, Psychologie-Professorin an der Universität Innsbruck, auf WDR-Anfrage