"Mr. WDR" - 44 Jahre lang prägte Fritz Pleitgen den Sender

Stand: 16.09.2022, 15:28 Uhr

Er war der Mann mit der sonoren Stimme, der dem Publikum daheim die Welt erklärt: Fritz Pleitgen hat den WDR geprägt. Jetzt ist er im Alter von 84 Jahren in Köln gestorben.

Von Marion Kretz-Mangold

Es war, wie er selbst sagt, eine "wahnwitzige Idee": Fritz Pleitgen, der Journalist aus dem kleinen Deutschland, will ein Interview mit Leonid Breschnew führen, der Nummer eins in der Sowjetunion.

Das hat noch kein westlicher Korrespondent geschafft, und es ist Anfang der Siebziger, als das Ost-West-Verhältnis mehr als kühl ist, auch wenig realistisch. Aber dann kündigt der französische Präsident Georges Pompidou seinen Besuch in Minsk an. Die Kamerateams sollen aus gebührender Entfernung filmen, wie Breschnew das französische Staatsoberhaupt auf dem Flughafen empfängt.

Und Pleitgen? "Ich habe einfach eine Absperrung überschritten und bin auf ihn zugegangen." Der Korrespondent fragt, der Generalsekretär antwortet, und am Tag darauf sind Zitate und Fotos in allen Zeitungen: ein echter Coup, der Pleitgen schlagartig berühmt macht.

Per Zufall zum Traumberuf

Die nötige Portion Chuzpe im richtigen Moment: Die hat schon der junge Fritz. Als im ostwestfälischen Bünde ein Lokalreporter gesucht wird, verschweigt der schon damals hochgewachsene 14-Jährige sein Alter – und bekommt den Job.

Der bringt Geld und macht auf jeden Fall mehr Spaß als die Schule. Für Pleitgen ist die Sache klar: Rasender Reporter kann er auch ohne Abi werden.

Fernsehen? "Halbseiden!"

Dass er ein halbes Jahrhundert später an der Spitze des größten ARD-Senders stehen und fast ehrfürchtig "Die Macht am Rhein", "Mr. WDR" oder gar "Der liebe Gott von Köln" genannt würde, hat er damals wohl kaum geahnt.

Fast wäre aus seiner "öffentlich-rechtlichen Bilderbuchkarriere" nichts geworden. Denn als der WDR den 25-jährigen Zeitungsredakteur in die Tagesschau-Redaktion holen will, zögert er: "Für uns war Fernsehen eine halbseidene Sache".

Aber er lässt sich darauf ein – und genießt es. Ob Sechs-Tage-Krieg oder Zypernkonflikt: Pleitgen ist mittendrin und erklärt den Zuschauern daheim die Welt.

Genossen und Bürgerrechtler

Und die Zuschauer vertrauen der groß gewachsenen Gestalt, die mit sonorer Stimme ins Mikro spricht – egal, ob Pleitgen auf der Sinai-Halbinsel steht oder später auf dem Roten Platz in Moskau, vor dem Brandenburger Tor oder dem Weißen Haus. Als "unser Mann in Moskau" zeigt Pleitgen nicht nur das offizielle Moskau, sondern holt auch Dissidenten vor die Kamera, ohne dass die Zensur eingreift – Minsk sei Dank.

Auch aus der DDR, wo sein Vorgänger wegen allzu kritischer Töne gerade ausgewiesen wurde und "aus jeder Blähung (…) ein Donnerschlag" werden kann, filmt er die bruderküssenden Genossen – und Bürgerrechtler.

Dass er innenpolitische Berichterstattung für die Ost-Zuschauer betreibt, ist ihm bewusst. "Nirgends habe ich eine so große Wirkung als Journalist entfalten können wie in der DDR", erinnert er sich später. Beim heimischen Publikum kann der bekennende Anhänger der Ostpolitik zu seiner Enttäuschung damit wenig ausrichten.