Übernahme durch Elon Musk: Was sich bei "X“ alles verändert hat

Stand: 27.10.2023, 06:00 Uhr

Vor genau einem Jahr hat Elon Musk bei Twitter die Kontrolle übernommen. Mittlerweile heißt Twitter nur noch X – und die Umsätze des Unternehmens haben sich beinahe halbiert. WDR-Digitalexperte Jörg Schieb über die Veränderungen seit der Machtübernahme durch Elon Musk.

Vor genau einem Jahr (27.10.2023) hat Elon Musk, der derzeit laut Forbes mit einem Vermögen von rund 260 Milliarden Dollar als der reichste Mann der Welt gilt, den Kurznachrichtendienst Twitter gekauft – und dort auch selbst die Führung übernommen. Gleich nach der offiziellen Übernahme hat Musk praktisch das komplette Top-Management entlassen – und wenige Tage später auch rund 30 Prozent der Belegschaft.

Massenhafte Entlassungen haben Auswirkungen

Elon Musk setzt sich auf Twitter für uneingeschränkte Redefreiheit und Anonymität ein – unabhängig von geltenden Gesetzen

Musk: ein eigenes Verständnis von Meinungsfreiheit

Im Laufe der Zeit wurden weitere Mitarbeiter entlassen. Auch und vor allem Entwickler. Das hat spürbare Auswirkungen auf die technische Stabilität des Kurznachrichtendienstes: Es gibt nicht mehr genügend Experten im Haus, die Algorithmen weiterentwickeln oder die KI nachschärfen, etwa um der im Netzwerk zunehmenden Hassrede entgegenzuwirken. Elon Musk hat ein eigenes Verständnis von Meinungsfreiheit. Er hat völlige Redefreiheit im Netzwerk Twitter angekündigt und die Moderation eingeschränkt. Nicht nur aus Kostengründen, sondern auch, um weniger einzugreifen.

Zunahme von Hass und Hetze

Die Folge: Hass und Hetze haben auf Twitter, das mittlerweile "X“ heißt, erkennbar zugenommen. So hat Amnesty International in einem Bericht vom August 2023 festgestellt, dass die Übernahme von Twitter durch Musk zu einer Zunahme von Hassrede und anderen schädlichen Inhalten geführt hat. Der Bericht stützt sich auf eine Analyse von 200.000 Tweets, die in den Wochen nach der Übernahme veröffentlicht wurden.

Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt auch eine Studie der University of California, Berkeley. Für die Studie wurden 1,5 Millionen Tweets untersucht, die in den Wochen nach der Übernahme veröffentlicht wurden. Die Studie kommt zum Schluss: "Ein beunruhigendes Ergebnis, das darauf hindeutet, dass die Plattform weniger sicherer für Nutzerinnen und Nutzer geworden ist."

Umsatzrückgang um rund 50 Prozent

Der Umsatz von Twitter ist nach der Übernahme durch Elon Musk im Oktober 2022 zurückgegangen. Im zweiten Quartal 2023, dem ersten Quartal nach der Übernahme, erwirtschaftete Twitter einen Umsatz von 1,2 Milliarden US-Dollar. Was einem Rückgang von 270 Millionen US-Dollar oder 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal entspricht. Laut Wirtschaftsmedien habe die Übernahme zu Unsicherheiten bei Investoren geführt, was sich negativ auf die Werbeerlöse ausgewirkt habe.

Wichtigste Ereignisse: Chronologie

Die letzten zwölf Monate waren turbulent bei Twitter. Hier eine Chronologie mit den wichtigsten Ereignissen.

27. Oktober 2022
Für 44 Milliarden Dollar übernimmt Tesla- und SpaceX-CEO Elon Musk den Kurznachrichtendienst Twitter und setzt sich selbst als Leiter des Unternehmens ein.

November 2022
Musk kündigt an, dass er die Anzahl der Mitarbeiter von Twitter um 30 Prozent reduzieren will. Er kündigt weiterhin an, dass er Twitter zu einem privat geführten Unternehmen machen will.

Dezember 2022
Twitter entlässt rund 30 Prozent der Belegschaft. Wer betroffen ist und wer nicht, verkündet der Chef emotionslos per E-Mail. In den Folgemonaten werden weitere Mitarbeiter entlassen – insgesamt rund 50 Prozent der Beschäftigen.

Juni 2023
Musk lockert die Moderation von Inhalten bei Twitter. Er kritisierte die bisherige Praxis als zu streng und schädlich für die Meinungsfreiheit.

Juli 2023
Twitter führt eine Altersfreigabe für Nutzer ab 13 Jahren ein. Offiziell, um junge Menschen vor Hassrede zu schützen.

August 2023
Twitter führt erste Bezahlfunktionen für Nutzer ein. Wer den blauen Haken haben will, muss dafür 100 Euro im Jahr zahlen. Nutzer bekommen weniger Werbung zu sehen, können Videos in besserer Qualität verteilen und längere Postings schreiben.

August 2023
Twitter führt neue Funktionen ein, darunter die Möglichkeit, länger als 280 Zeichen pro Tweet zu schreiben, und die Möglichkeit, Videos und Audiodateien in Tweets einzubetten.

August 2023
Twitter verbessert die Benutzeroberfläche. Dazu gehören unter anderem die Einführung einer neuen Suchfunktion und die Verbesserung der Navigation.

September 2023
Twitter verbessert die Internationalisierung. Dazu sollen unter anderem die Übersetzungsfunktionen verbessert und neue Sprachen unterstützt werden.

Oktober 2023
Twitter wird endgültig in "X" umbenannt. Musk erklärt, dass er den Namen "Twitter" als zu eng gefasst betrachtet und dass er den neuen Namen als "offener und zugänglicher" empfindet.

User-Schwund und Alternativen

Elon Musk ist im Oktober 2022 medienwirksam mit einem Becken in der Hand in die Unternehmenszentrale gelaufen

Musk: Kündigungen kommen per Mail

Twitter hat sich seit der Übernahme enorm verändert. Viele Menschen fühlen sich nicht mehr wohl auf der Plattform. Geschätzt zehn Prozent der Nutzer haben ihre Accounts seit der Übernahme geschlossen und gelöscht. Genaue Zahlen liegen allerdings nicht vor. Dennoch: Twitter alias X ist nach wie vor ein wichtiger Kommunikationsdienst für alle, die in der Medienwelt arbeiten. Politiker, Journalisten, Medienschaffende, Künstler, Aktivisten, sie alle sind vor allem auf Twitter aktiv. Das ist auch der Grund, wieso die Rundfunkanstalten der ARD weiterhin Accounts dort haben und nutzen - aber Veränderungen auf der Plattform kritisch betrachten und nicht ausschließen, sich von dort zurückzuziehen.

Über den Autor

Jörg Schieb, WDR-Digitalexperte.

WDR-Digitalexperte Jörg Schieb

Jörg Schieb, Jahrgang 1964, ist WDR-Digitalexperte und Autor von 130 Fachbüchern und Ratgebern. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Digitalisierung und deren Auswirkungen auf unseren Alltag.