Waffen oder Diplomatie? Deutschland streitet über Weg im Ukraine-Krieg

Stand: 30.04.2022, 18:06 Uhr

Deutschland liefert schwere Waffen in die Ukraine. Der Bundestag hat mit großer Mehrheit zugestimmt. Doch die Diskussion darüber, ob das richtig ist, geht weiter.

Von Matthias Wurms

Ein offener Brief von 28 Intellektuellen, Künstlerinnen und Künstlern an Bundeskanzler Scholz hat jetzt eine neue Debatte entfacht. Darin warnen Prominente wie der Schriftsteller Martin Walser, der Schauspieler Lars Eidinger, die Feministin Alice Schwarzer, der Kabarettist Dieter Nuhr und der Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar vor mehr Unterstützung für die Ukraine und fordern Kompromissbereitschaft.

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Ihre Argumente: Man dürfe dem russischen Präsidenten Putin kein Motiv liefern, um den Krieg auf die Nato auszuweiten. Und: Das Leid der Menschen in der Ukraine müsse beendet werden. Deshalb bitten die Unterzeichner Scholz, "alles dazu beizutragen, dass es so schnell wie möglich zu einem Waffenstillstand kommen kann; zu einem Kompromiss, den beide Seiten akzeptieren können".

Wie weit darf Kompromissbereitschaft gehen?

Dafür ernten sie harsche Kritik, unter anderem von der FDP-Bundestagsabgeordneten Strack-Zimmermann. Sie schreibt auf Twitter, "der einzige Kompromiss ist die vollständige Wiederherstellung territorialer Integrität der Ukraine".

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Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Melnyk schreibt, die Unterzeichner hätten nichts aus der Geschichte gelernt: "Diese Prominenten, die der Ukraine schwere Waffen verwehren wollen und damit dem Mörder Putin nur in die Hand spielen, damit er Frauen und Kinder zerbomben kann, haben das Prinzip 'Nie wieder' mit Füßen getreten."

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Den Krieg gewinnen oder ihn beenden?

Es bleibt jedoch die Frage, welche Strategie die Bundesregierung verfolgt: Will sie den Krieg beenden oder der Ukraine helfen, ihn zu gewinnen? Und: Geht das eine ohne das andere?

Die Angst, dass die Situation eskalieren könnte, bis hin zu einem Atomkrieg, teilen auch viele Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Im ARD-Deutschlandtrend sind nur noch 45 Prozent der Befragten für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine. Zehn Prozentpunkte weniger als vor drei Wochen. Genauso viele sind dagegen.

Auch die Organisation Internationale Ärztinnen und Ärzte gegen den Atomkrieg, IPPNW, die 1985 den Friedensnobelpreis bekam, fordert mehr Bemühungen um einen Waffenstillstand statt weiterer Waffenlieferungen.

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Selenskyj und Lawrow drohen mit Abbruch von Verhandlungen

Tatsächlich warf Russlands Außenminister Lawrow jetzt der Nato vor, durch ihre Waffenlieferungen eine politische Einigung zu verhindern: "Wenn USA und NATO wirklich an einer Lösung der Ukraine-Krise interessiert sind, dann sollten sie zuallererst aufhören, das Kiewer Regime mit Waffen und Munition zu beliefern." Der ukrainische Präsident Selenskyj wiederum warf Russland vor, den Donbass komplett zerstören zu wollen und drohte ebenfalls mit einem Ende aller Verhandlungen.

Die Sonderbeauftragte des ukrainischen Außenministeriums, Olga Trofimtseva, erklärte im WDR 5 Morgenecho: "Wir brauchen diese schweren Waffen, um die Russen von unserem jetzigen Territorium zu verdrängen, um sie dazu zu zwingen, aus der Ukraine zu gehen. Und an einem Punkt zu Verhandlungen zu kommen." Sie sagt, viele Ukrainerinnen und Ukrainer seien enttäuscht, weil sie Deutschland mehr in einer Leitungsrolle erwartet hätten.

Psychologe Grünewald: Deutsche haben Schuldkomplex

Der Psychologe Stephan Grünewald vom Psychologischen Forschungsinstitut Rheingold sieht einen möglichen Grund für die deutsche Zurückhaltung in einer Art Schuldkomplex. Grünewald sagte ebenfalls im Morgenecho, Deutschland habe über Jahrzehnte die Bedrohung ausgeblendet, und sich stillschweigend auf die USA und die NATO verlassen.

Hinzu komme in der aktuellen Situation ein Ohnmachtsgefühl: "Wir könnten ja runter vom Gas. Das würde aber bedeuten, dass wir verzichten, dass unser Status Quo gefährdet ist. Auch das wollen wir nicht." Stattdessen gebe es einen modernen Ablasshandel: "Wir wollen sozusagen die Gefahr durch Spenden und durch Waffenlieferungen weiter auslagern und vom Leibe halten."

Diskussionen bei Grünen und SPD

Der russische Krieg gegen die Ukraine beschäftigte am Samstag auch die Grünen. Auf einem kleinen Parteitag in Düsseldorf unterstützten die Delegierten einen Antrag, der mehr Geld für die Bundeswehr und die Lieferung auch schwerer Waffen an die Ukraine vorsieht. Das Zwei-Prozent-Ziel der Nato für Rüstungsausgaben lehnten sie dagegen ab. Zuvor hatte Parteichef Omid Nouripour versprochen: "Wir werden immer Friedenspartei bleiben."

Neben den Grünen ringt auch die SPD weiter um ihre Haltung im Ukraine-Krieg. Fraktionschef Mützenich fordert stärkere diplomatische Bemühungen, um Russland in der Welt weiter zu isolieren. Dazu müsse es Gespräche mit den Staaten geben, die Russland weiterhin unterstützen. Mützenich nannte unter anderem China, Brasilien und Indien, das große Mengen Gas in Russland kaufen will.

Heusgen: "Der Krieg hört auf, wenn Putin das will"

Der Vorsitzende der Münchener Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, sieht zurzeit nur geringe Chancen für eine diplomatische Lösung. Im WDR 5 Europamagazin sagte Heusgen, Putin wolle keinen Frieden, weil er verhindern wolle, dass die Ukraine und andere Nachbarländer Erfolg haben. Dabei gehe es ihm um den Erhalt der eigenen Macht. "Ich glaube, zum gegenwärtigen Zeitpunkt muss man sagen: Dieser Krieg hört auf, wenn Putin zu dem Schluss kommt, dass es besser ist für ihn, für sein, Land, wenn er aufhört." Trotzdem dürfe man nicht aufgeben.

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