Hofreiter zur Ukraine: "Keine andere Möglichkeit" als schwere Waffen

Stand: 29.04.2022, 12:07 Uhr

Laut aktuellem Deutschland-Trend befürworten 45 Prozent die Waffenlieferungen in die Ukraine - auch Anton Hofreiter (Grüne). Die neue Realität habe einen Stimmungswandel gefordert, so der Politiker im WDR-Interview.

"Das lehnen wir ab, es erschwert die politische Lösung und es hilft auch nicht." Was Anton Hofreiter 2015 nach der russischen Übernahme der Krim über Waffenlieferungen gesagt hat, gilt offenbar nicht mehr. Der Grünen-Politiker steht als einer der Befürworter hinter der Entscheidung der Bundesregierung, schwere Waffen in die Ukraine zu liefern.

Auch ein großer Teil der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland spricht sich nach wie vor für die Lieferung von Waffen aus - im aktuellen Deutschland-Trend sind es 45 Prozent der Befragten. Damit halten sich Befürworter und Gegner aktuell die Waage: Ebenfalls 45 Prozent der befragten Deutschen haben gegen Waffenlieferungen gestimmt.

Der Trend hat sich seit der letzten Befragung am 7. April damit allerdings deutlich verändert: Damals waren noch zehn Prozent mehr (55 zu 37 Prozent) für Waffenlieferungen. Mögliche Gründe für den damals größeren Zuspruch: Die zu dem Zeitpunkt mutmaßlichen Kriegsverbrechen in Butscha und anderen Vororten Kiews sowie der noch vorsichtigere Kurs der Bundesregierung.

Wie er zu seinem Meinungswandel gekommen ist, dazu hat sich Anton Hofreiter im WDR-Interview geäußert.

WDR: Herr Hofreiter, ist das jetzt der neue Anton Hofreiter durch die neue Realität oder würden Sie sagen, dass Sie in besonderen Zeiten immer für den Einsatz von Waffen waren?

Hofreiter: Das ist durch die neue Realität. Wir hatten damals, und ich auch, die Meinung, dass man mit Putin doch verhandeln könnte. Aber es war einfach schlichtweg ein Irrtum. Damals hatten die Osteuropäer einen realistischeren Blick als wir - auch einen realistischeren Blick als ich. Ich meine, wir Grünen waren damals zum Glück, klugerweise, gegen Nord Stream 2, auch wenn es nicht ausreichend geholfen hat. Aber, wie gesagt, ich hab mich damals auch geirrt. Und jetzt, wo wir sehen, dass Putin einen verbrecherischen Eroberungs- oder Angriffskrieg begeht, sehe ich keine andere Möglichkeit - und man macht das überhaupt nicht leichten Herzens - als die Ukraine auch mit schweren Waffen zu unterstützen.

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WDR: Sie müssten dann aber auch das grüne Wahlprogramm umschreiben. Da stand zur Bundestagswahl im letzten Jahr noch, dass Sie auf Gewaltfreiheit setzen. Und: "Unser Ziel ist eine Weltordnung, in der Konflikte nicht über das Recht des Stärkeren, sondern am Verhandlungstisch gelöst werden." Sind die Zeiten dieser Träumereien vorbei? Wir würden Sie das bewerten für die nächsten Jahre und Jahrzehnte?

Hofreiter: Ich finde das ehrlich gesagt immer noch ein richtiges Ziel – dass man versucht, auf Gewaltfreiheit zu setzen und Lösungen am Verhandlungstisch zu erreichen. Bloß, wenn eine Seite dazu prinzipiell nicht bereit ist, sondern dem Denken des 19. Jahrhunderts anhängt und koloniale, imperialistische Eroberungs- und Vernichtungskriege führt, dann sollte man das nicht ignorieren, sondern stattdessen den Opfern helfen und zwar massiv helfen.

WDR: Das wird jetzt unter anderem aus Deutschland getan. Es werden auch Panzer geliefert, jetzt ist aber die große Frage: Wohin soll das führen, dieses extreme Aufrüsten der Ukraine? Also was könnte am Ende dabei Gutes herauskommen? Was ist Ihre Hoffnung?

Hofreiter: Meine Hoffnung ist, dass die Ukraine so wehrhaft wird, dass Putin und das Regime in Russland erkennen, dass seine imperialistischen Ziele nicht erreicht werden können und sie deshalb die Angriffe einstellen und sich zurückziehen.

WDR: Aber Russland sagt ja nicht auf einmal "Hoppla – die sind ja doch stärker als gedacht. Ich ziehe mich zurück". Glauben Sie das wirklich?

Hofreiter: Die sagen nicht auf einmal "Hoppla". Aber wenn wir dann auch noch verschärfte Embargos machen, zum Beispiel als nächsten Schritt das Öl-Embargo, wofür unser Wirtschaftsminister sehr viel getan hat und gesagt hat, wir sind jetzt nahezu reif dafür, dann werden irgendwann, auch für ein Regime wie Putins, die Kosten des Krieges zu hoch. Wir dürfen ja nicht vergessen: Die sind auf der einen Seite Ideologen, aber auf der anderen Seite auch Kleptokraten.

WDR: Würden Sie darauf setzen, dass Russland durch die Waffenlieferungen den Krieg verliert oder eher darauf, dass dadurch eine Pattsituation entsteht?

Hofreiter: Es muss eine Situation entstehen, in der das Regime in Russland erkennt, dass es seine Ziele nicht erreicht und bereit ist, ernsthafte Verhandlungen zu führen und bereit ist, die Souveränität der Ukraine wiederherzustellen und bereit ist, die weiteren Eroberungspläne sein zu lassen. Es ist ja schon jetzt erkennbar und wurde auch offen angekündigt, dass man als nächstes die Republik Moldau anzugreifen gedenkt.

WDR: Ist man durch die Lieferung schwerer Waffen nicht eben in dieser Spirale, dass es immer schlimmer wird und Putin da irgendwann gar nicht mehr rauskommt?

Hofreiter: Nein. Man ist, wenn man die Ukraine nicht unterstützt, in der Spirale, dass Putin und das Regime in Russland immer weiter vormarschieren. Sie dürfen ja nicht vergessen, dass selbst mit der Ukraine das Ziel noch nicht erreicht ist. Es ist klar angekündigt, dass das russische Reich wiedererrichtet werden soll und deshalb, glaube ich, wären wir sehr gut beraten gewesen in Deutschland, schon in der Vergangenheit stärker auf unsere mittel- und osteuropäischen Partner zu hören und spätestens nachdem so deutlich geworden ist, wie oft wir uns geirrt haben, jetzt darauf zu hören. Und wenn Sie mit den Balten sprechen, wenn Sie mit den Polen sprechen, die haben ganz große Sorgen – Moldawien noch viel Größere – dass wenn Putin nicht gestoppt wird, sie als nächstes angegriffen werden.

WDR: Herr Hofreiter, letzte Frage: Wie viel Gegenwind bekommen Sie aktuell aus Ihrem Wahlkreis, von Ihren Wählerinnen und Wählern?

Hofreiter: Die Unterstützung ist sehr, sehr groß. Das zeigen auch die Umfragen, dass die Anhängerinnen und Anhänger der Grünen am stärksten die Position unterstützen, dass man der Ukraine stark helfen muss – und auch mit schweren Waffen stark helfen muss. Denn den Leuten ist sehr bewusst, dass es die Aufgabe von Grünen, von auch linken Grünen ist, den Schwächeren zu helfen, denen zu helfen, die Opfer des Aggressors werden, der Demokratie zu helfen, wenn sie von einer Diktatur angegriffen wird, den Betroffenen von schwersten Menschenrechtsverletzungen zu helfen - es handelt sich auch um einen kolonialen Krieg, das russische Reich war immer ein Kolonialreich - den Kolonialisierten zu helfen. Und es ist der übergroßen Mehrheit extrem bewusst.

Bei dieser schriftliche Fassung des Interviews handelt es sich um eine leicht gekürzte Version des Interviews im WDR 5 Morgenecho vom 29. April.

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