Volkswagen will drei Werke schließen

Aktuelle Stunde 28.10.2024 42:54 Min. UT Verfügbar bis 28.10.2026 WDR Von Stefan Wittke

VW in der Krise: Wie konnte das passieren?

Stand: 28.10.2024, 19:09 Uhr

Die deutsche Traditionsmarke Volkswagen gerät ins Wanken: Es drohen Kündigungen und Werksschließungen. Dass es so weit kommen konnte, hat Gründe.

Von Nina Magoley

Bei den Volkswagen-Mitarbeitern brodelte es, als Betriebsratschefin Daniela Cavallo vor 25.000 Beschäftigten in Wolfsburg die schlechten Nachrichten überbrachte: Mindestens drei seiner zehn Volkswagen-Werke in Deutschland plane der Konzern zu schließen - darunter auch das Werk in Osnabrück. Die verbliebenen Standorte sollten geschrumpft werden. Zehntausende Arbeitsplätze seien in Gefahr, sagte Cavallo.

Was droht den Mitarbeitenden bei VW?

Derzeit werden in Osnabrück noch Aufträge für die Sportwagenmodelle 718 Cayman und Boxster abgearbeitet, die das Porsche-Hauptwerk in Stuttgart nicht schaffe, sagte die Betriebsratschefin. Ab Frühjahr 2026 habe das Werk in Osnabrück keine Aufträge mehr.

VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo steht auf einem Balkon

VW-Betriebsratschefin Daniela Cavallo

Alle Mitarbeiter müssten sich auf deutliche Gehaltseinbußen einstellen: Satte zehn Prozent weniger Monatslohn plane das Management, zwei Nullrunden in den Jahren 2025 und 2026, außerdem keine Zulagen und Boni mehr.

Wie konnte VW so in die Krise geraten?

Wirtschaftsexperten sehen mehrere Ursachen:

  • In Schieflage geriet der Konzern schon 2015 durch den Abgas-Skandal, der als größter Industrieskandal der Wirtschaftsgeschichte überhaupt gilt: Mittels einer versteckt eingebauten "Schummelsoftware" generierten die Fahrzeuge bei Schadstofftests deutlich bessere Werte als beim tatsächlichen Gebrauch im Straßenverkehr.
  • Die Folgen für den Autobauer: Strafzahlungen in Milliardenhöhe, Staatsanwaltschaften ermittelten, Top-Manager wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt. Erst im September startete der Prozess gegen den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Volkswagen AG, Martin Winterkorn. Die große deutsche Traditionsmarke war ins Zwielicht geraten.
  • Grundsätzlich ist der Automarkt geschrumpft. Konzern-Finanzchef Arno Antlitz hatte kürzlich auf einer Betriebsversammlung in Wolfsburg vorgerechnet, dass Volkswagen in Europa pro Jahr inzwischen 500.000 Autos weniger verkaufe als vor der Pandemie. 
  • VW sei außerdem lange Zeit viel zu träge beim Thema E-Mobilität gewesen, sagen Experten. "Volkswagen hat es bis jetzt nicht geschafft, ein preisgünstiges Elektroauto auf den deutschen Automarkt zu bringen, das auch kostengünstig produziert werden kann", sagte Helena Wisbert, Professorin für Automobilwirtschaft an der Ostfalia Hochschule in Wolfsburg, dem WDR. "Da leidet eben auch die Gewinnmarge und es fehlt Volkswagen ein sehr großes Kundensegment, das der Konzern nicht bedienen kann."
  • Volkswagen habe außerdem massive strukturelle Probleme: Das Management sei in der Vergangenheit immer bemüht gewesen, Arbeitsplätze zu erhalten. Seit 1992 waren betriebsbedingte Kündigungen bei VW ausgeschlossen. Die Löhne seien deutlich höher als sonst in der Branche üblich. Gleichzeitig sei die Modellpalette immer weiter zusammengestrichen worden.
  • Betriebsratschefin Cavallo sieht vor allem die Konzernchefs in der Verantwortung: "Volkswagen krankt daran, dass der Vorstand seinen Job nicht macht", hatte sie Anfang September erklärt. Anstatt in neue Technologien - zum Beispiel Hybrid-Antriebe - zu investieren, würden Produkte und Projekte "immer wieder" verschoben. Tatsächlich hatte Thomas Schäfer, seit 2022 an der Spitze des Konzerns, Mitte 2023 eingeräumt, dass Strukturen und Prozesse bei VW "zu kompliziert, zu langsam, zu unflexibel" seien.

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Hat die Politik an der VW-Krise eine Mitschuld?

Ende 2023 hatte die Bundesregierung die Umweltprämie für Elektroautos ersatzlos gestrichen. Das trage auch dazu bei, dass E-Autos von VW weniger gekauft werden, sagen Experten.

Betriebsratschefin Cavallo sagt: "Wir brauchen einen umfassenden Plan aus der Politik, wie die Elektromobilität endlich zum Fliegen kommt. Wir brauchen darüber hinaus auch einen Masterplan für den Industriestandort Deutschland."

Welche Auswirkungen könnte die VW-Krise auf NRW haben?

Helena Wisbert, Professorin für Automobilwirtschaft an der Ostfalia Hochschule in Wolfsburg

Helena Wisbert: "Auch Einschnitte für NRW"

Zwar steht keins der zehn deutschen Volkswagen-Werke in NRW. Dennoch könnte die angekündigten Einschnitte auch hier große Auswirkungen haben. Knapp 200.000 Jobs finden sich bei Zulieferern für die Automobilbranche. "Wir haben in Deutschland sehr viele Zulieferer, die in der Automobil-Industrie unterwegs sind, die insbesondere auch Volkswagen beliefern als größter europäischer Autobauer", sagt Expertin Wisbert, "und das wird dann auch Einschnitte hier in NRW haben".

Was muss jetzt passieren?

Volkswagen müsste nun Milliarden investieren in Zukunftstechnologien, Elektrifizierung und Digitalisierung der Autos, sagt Helena Wisbert. Um zu bestehen, müsse das Unternehmen künftig preiswertere E-Autos produzieren - "aber die Produktionskosten von Volkswagen sind zurzeit auf dem Niveau von Premiumherstellern". Das passe nicht zusammen.

Gleichzeitig müsse der Konzern ordentlich sparen, um in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein. "Eine sehr schwierige Situation."

Unsere Quellen:

  • WDR-Interview mit Helena Wisbert, Professorin für Automobilwirtschaft
  • IG Metall
  • Nachrichtenagentur dpa