Vor einem Jahr, am 24. Februar 2022, ist die russische Armee auf Befehl von Kreml-Chef Wladimir Putin in die Ukraine einmarschiert. Der Krieg hat seitdem nach groben Schätzungen des Westens auf beiden Seiten zum Tod von 150.000 Menschen geführt, Millionen wurden in die Flucht getrieben. Wann ist endlich wieder Frieden? Warum gilt 2023 als so entscheidend? Und welche Rolle kommt jetzt China zu? Ein Ausblick.
Sehnsucht nach Frieden für die Ukraine - auch in NRW
Die Sehnsucht nach Frieden ist groß - ebenso in NRW. Denn auch hierzulande ist der Krieg in der Ukraine tagtäglich zu spüren. Da sind die stark gestiegenen Preise, die freiwilligen oder finanziell unumgänglichen Energie-Einschränkungen oder auch das Gefühl, dass selbst bei uns in Deutschland der Frieden nicht garantiert ist.
Kein Wunder also, dass das "Manifest für den Frieden", in dem Prominente wie die Linken-Politikerin Sarah Wagenknecht und die Publizistin Alice Schwarzer Verhandlungen mit Russland fordern, auf viel Zustimmung stößt. Gleichzeitig ist aber auch die Ablehnung groß, wenngleich die Kritiker genauso auf einen schnellen Frieden hoffen. Wie also lässt er sich schnellstmöglich erreichen?
Frieden für die Ukraine: 2023 das entscheidende Jahr?
"Wir wissen, dass 2023 das Jahr unseres Sieges sein wird", twitterte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine. Und er unterstrich an anderer Stelle: "Wir werden alles tun, um in diesem Jahr den Sieg zu erringen."
Ähnlich, allerdings zurückhaltender, äußerte sich Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko. "Der Frieden muss zurückkommen - wir hoffen in diesem Jahr", sagte er am Mittwoch der "Welt".
Und auch viele Beobachterinnen und Beobachter sehen 2023 als wichtiges Jahr auf dem Weg zum Frieden. So twitterte etwa die Politikwissenschaftlerin Liane Fix am Dienstag: "2023 wird nicht nur ein entscheidendes Jahr in diesem Krieg sein, sondern muss auch vom Westen dazu gemacht werden."
Manifest: Friedensverhandlungen "sofort"
Dass ein Frieden mit Russland nur am Verhandlungstisch möglich ist, stellt kaum jemand in Frage. Die Frage ist nur: Wann?
"Warum dann nicht jetzt?", heißt es im "Manifest für den Frieden". Man solle "sofort" verhandeln, so die Forderung. Und weiter: "Verhandeln heißt nicht kapitulieren. Verhandeln heißt, Kompromisse machen, auf beiden Seiten. Mit dem Ziel, weitere Hunderttausende Tote und Schlimmeres zu verhindern."
"Mit immer mehr Waffen werden wir diesen Konflikt nicht lösen. Er wird im Zweifel nur blutiger und länger, und Russland wird weiter eskalieren", sagte Politikwissenschaftler Johannes Varwick Mitte Februar dem WDR.
Varwick gehört zu den Erstunterzeichnern des "Manifests für den Frieden". Eine Woche nach der Veröffentlichtung zog er jedoch seine Unterschrift zurück, unter anderem weil er mit vielen späteren Unterstützern des Manifests "nicht gemeinsam genannt werden möchte", wie er erklärte.
Kritik am Manifest: Verhandlungen zu früh
Sofort verhandeln - das sei nicht möglich, wenn man einen schnellen Frieden - vielleicht sogar in diesem Jahr - erreichen wolle, entgegnen Kritikerinnen und Kritiker des Manifests. Zumindest sei auf diese Weise kein Frieden möglich, bei dem man Russland nicht große Teile der Ukraine überlasse. Dies hätte für viele Ukrainerinnen und Ukrainer ein Leben in Unterdrückung zur Folge und könnte Putin zeigen, dass sich auch künftig Angriffskriege ein Stück weit lohnen, so die Sorge.
"Jene, die jetzt wie Alice Schwarzer oder Sahra Wagenknecht laut nach Diplomatie rufen, haben nicht begriffen, was die Voraussetzungen dafür sind, dass die Diplomatie ins Spiel kommt", sagte Politikwissenschaftler Herfried Münkler am Mittwoch der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
Dafür müsse Russland einsehen, dass es seine Kriegsziele nicht erreichen könne, weil die Ukraine Widerstand leiste, so Münkler. Ähnlich sagte es am Dienstag Politikwissenschaftler Carlo Masala der Deutschen Presse-Agentur:
Was bedeutet das konkret? Politologin Fix fordert vom Westen eine "Theorie des Sieges". "Der Westen darf nicht wieder nur auf russische Angriffe reagieren, sondern muss sich mit der Ukraine auf ein Ziel verständigen, das in diesem Jahr erreicht werden soll." Ansonsten drohe ein "forever war", also ein nicht endender Krieg.
Eine Frage der Definition: Was bedeutet Sieg?
Es geht dabei also auch um eine Definition, was Sieg überhaupt bedeuten soll. Sie selbst ist der Ansicht, dass der Krieg nicht zwangsläufig mit einer klaren russischen Niederlage enden müsse. "Ich denke, das wahrscheinlichste Szenario sind ukrainische Gewinne, die zu einem ausreichenden Sieg führen", so Fix.
Politologe Münkler wird konkreter. Zwar müsse die Ukraine Land zurückerobern, um dann mit Russland in Verhandlungen zu gehen. Es sei dann aber auch erforderlich, dass die Ukraine "ihr Kriegsziel der Rückeroberung der Krim zurückstellt".
Politologin Fix: "die nächsten Monate entscheidend"
Ist also Frieden für die Ukraine in diesem Jahr realistisch? Nach Ansicht von Politologin Fix seien "die nächsten Monate entscheidend". Das habe unter anderen damit zu tun, dass die Unterstützung der Ukraine in den USA schwinden könne - mit dem neuen Kongress sei die Zustimmung zu einem weiteren Hilfsprogramm keineswegs garantiert.
"Friedensplan" aus Fernost: Wie verhält sich China?
Eine bedeutede Rolle auf dem Weg zum Frieden könnte China spielen. Zum Jahrestag des Kriegsbeginns hat das Land einen "Friedensplan" für die Ukraine vorgelegt. Darin ruft China zu einem Waffenstillstand und Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland auf.
Mikko Huotari vom Mercator Institute for Chinese Studies ist jedoch skeptisch. "Das ist kein Friedensplan", sagte er am Freitag dem WDR. Das sei lediglich "Chinas Position".
UN-Vollversammlung verabschiedet Resolution
Bei der Abstimmung der UN-Vollversammlung am Mittwochabend hat sich China jedenfalls enthalten. Hingegen haben 141 der 193 UN-Mitgliedstaaten für die Resolution gestimmt - und somit für einen sofortigen russischen Truppenabzug.
Ist also schon in diesem Jahr Frieden für die Ukraine realistisch? Viele Menschen haben darauf keine klare Antwort. Ganz klar hingegen ist die Sehnsucht nach Frieden. Am Jahrestag des Kriegsbeginns bringen das Tausende in NRW sichtbar zum Ausdruck - ob in Kundgebungen, einer Menschenkette oder in Gebeten.
Über dieses Thema berichtet am 24.02.2023 auch die "Aktuelle Stunde" im WDR Fernsehen.