Kontrolle, Tritte, Schläge - Wenn der Partner in der Pandemie zum Gewalttäter wird

Stand: 07.03.2021, 20:47 Uhr

Jahrelang wurde Sabine von ihrem Mann beschimpft und geschlagen. In der Pandemie wurde es immer schlimmer - bis sie ihn endlich verlassen hat.

"Hure" schimpft er sie. Und Schläge hagelt es. Immer wieder. Längst ist ihr klar, dass sie ihren Ehemann verlassen muss. Nur wann und wie, dafür fehlt ihr die Kraft. Das, was Sabine erlebt hat, kennen tausende Frauen. Etwa jede dritte Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner.

Über zehn Jahre sind Sabine und ihr Mann ein Paar. Er ist die meiste Zeit ohne Arbeit, das Geld verdient sie. Sabine, Anfang 40, sagt ihren richtigen Namen nicht, auch nicht ihren Beruf und nicht ihren Wohn- oder Aufenthaltsort. Der Mann, den sie einst geliebt hat, soll sie nicht finden können.

Er schlägt zu – und sie sucht die Schuld bei sich

Die große Veränderung in ihrem Leben beginnt, als Sabine und der vermeintliche Mann ihres Lebens gerade verheiratet waren: "Ich wurde von meinen Freunden getrennt. Ich bin isoliert worden." Seine Eifersucht, seine Kontrolle, seine Beleidigungen - all das prägt fortan Sabines Leben. Ein Essen, das nicht schmeckt, zu spät vom Einkaufen zurückkehren oder an der Arbeitsstätte nicht ans Telefon gehen: Er findet immer wieder "Gründe", um wütend und ausfallend zu sein. "Ich war schuld", sagt Sabine, "ich war nicht so wie er es gerne hätte." Ausgerechnet sie, das Gewaltopfer, sucht die Schuld bei sich.

Heimlich sucht sie Hilfe

Dann wird er handgreiflich. "Wenn du dich nicht besserst, schlage ich dich tot", schreit der Mann, gegen den sie sich nicht wehren kann. Tritte gegen den Körper, Schläge mit der flachen Hand auf den Kopf. Und immer wieder denkt sie: Jetzt ist Schluss. Heimlich hat sie Kontakt zu einem Frauenbüro. Doch dann kommen die Gedanken: Was ist, wenn ich gehe, wenn ich den Cut mache, wer steht hinter mir, welche Freunde bleiben? Familie hat Sabine nicht.

Gewalt hinterlässt Spuren

Im Job kann sie die Veränderung in ihrem Leben nicht mehr verbergen. Zwar gibt es keine Spuren von Gewalt in ihrem Gesicht – darauf scheint der Mann zu achten - aber einer Kollegin fällt doch auf, dass etwas nicht stimmt. "Ich war verschlossen. Mir war das alles unangenehm, peinlich", sagt Sabine mit leiser Stimme.

In der Pandemie wird alles noch schlimmer

In der Pandemie nehmen die Gewaltexzesse zu: "Seit Corona wurden die Abstände, in denen er mich schlug, kürzer." Hat er früher "quartalsmäßig" zugeschlagen, hagelt es jetzt Schläge zwei- bis dreimal in der Woche. Am Tag bevor sie ihren Ehemann für immer verlassen wird, schlägt und tritt er wieder zu. Sabine geht am nächsten Morgen zur Arbeit und wird nie wieder zurückkehren. Sie ruft das Frauenbüro an. Die Beraterin rät ihr, direkt ins Frauenhaus zu gehen. Sabine lässt ihr altes Leben hinter sich, mit nichts anderem als das, was sie am Körper trägt und in ihrer Handtasche dabei hat.

15 Minuten – um das Wichtigste mitzunehmen

Das ist erst ein paar Monate her. Aber alles zurückzulassen - persönliche Gegenstände, Fotos - das quält sie sehr. "Ich habe nichts von den alten Sachen und das fällt schwer." Einmal noch ist sie unter Polizeischutz in der Wohnung gegangen, in der sie die vergangenen drei Jahre ein Martyrium erlebt hat. 15 Minuten Zeit, um Kleider zu packen. "Für mehr hatte ich keinen Kopf", sagt Sabine.

Jetzt lebt sie in einem Frauenhaus. Die ersten zwei Tage, sagt sie, sei sie nur müde und kaputt gewesen. Die Beraterinnen helfen bei der Verarbeitung. Sie geben Ratschläge, z. B. zu einer Anzeige. Denken an Verträge, die man vielleicht kündigen muss. Helfen bei der Wohnungssuche. Sabine gesteht ein, daran gedacht zu haben zu ihrem Mann zurückzugehen: "Ich hatte Zweifel. Natürlich kamen Nachrichten ‚Komm zurück‘. Aber ich weiß, dass es besser ist, das nicht zu tun." Sabine ist bereit und stark genug, ihr Leben in die Hand zu nehmen.

Die Frau, Anfang 40, fühlt sich "wie ein Teenager", der komplett neu anfängt. In einer neuen Stadt. "Wie mit 18", sagt sie und ihre Stimme klingt dabei sogar ein bisschen optimistisch.