Kriselt es etwa im bisherigen NRW-Dreamteam aus CDU und FDP? Waren sich die beiden Partner in der Regierungskoalition bisher fast in allem einig, braut sich in der Coronapolitik nun offenbar massiver Unmut bei den Liberalen zusammen.
In der Bundesregierung ist die FDP Oppositionspartei - und wenn dort Christian Lindner gegen die Regierung wettert, ist das nicht wirklich verwunderlich. Doch wenn in NRW die FDP-Kollegen in seine Kritik einstimmen, dann ist das kein gutes Zeichen für die Harmonie innerhalb der schwarz-gelben Koalition.
Lindner sieht parlamentarische Demokratie in Gefahr
Der Bundestag könne die "Lockdown-Beschlüsse nur noch nachträglich zur Kenntnis nehmen", stellte Lindner am Donnerstag in einer Parlamentsdebatte in Berlin fest. Solche Entscheidungsprozesse bedrohten die Akzeptanz "und deformieren unsere parlamentarische Demokratie", sagte er weiter.
Lindners Parteikollege in NRW, Familienminister und Vizeministerpräsident Joachim Stamp, stimmt dessen scharfer Kritik zu: Solch wichtige Entscheidung gehörten in die Parlamente, sagte Stamp sichtlich frustriert im WDR-Interview. "Es kann nicht dauerhaft so weitergehen, dass die Bundeskanzlerin die Ministerpräsidenten zwingt, von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen und die Landesparlamente außen vor bleiben." Er nannte die neuen Einschränkungen "überzogen" und forderte statt dessen "eine tragfähige Strategie".
Stamp will mehr Mitsprache auch für Opposition
Dass die anderen Fraktionen auch im NRW-Landtag eine stärker Einbeziehung forderten, sei "richtig so", sagte Stamp. Tatsächlich hatten SPD und Grüne im Landtag bereits bitter beklagt, an den aktuellen Entscheidungen überhaupt nicht mehr beteiligt zu werden. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Kutschaty hatte am Mittwoch eine Sondersitzung plus Regierungserklärung des Ministerpräsidenten gefordert. Die Sondersitzung ist nun für Freitag geplant, doch eine Diskussion oder etwa Regierungserklärung schloss Armin Laschet (CDU) vorab offenbar aus.
SPD-Fraktionschef Kutschaty sieht einen Koalitionsstreit
Nun wittert auch Kutschaty Zwist zwischen den Koalitonspartnern: "Wenn ich mir die Äußerungen von Christian Lindner zu den Maßnahmen so anhöre, dann erklärt sich ziemlich schnell, warum der Ministerpräsident im Landtag morgen nur eine Unterrichtung und keine Regierungserklärung abgibt", sagte er dem WDR. Für eine Regierungserklärung brauche er nämlich die Zustimmung seines Koalitionspartners. Und an der, so Kutschatys Mutmaßung, hapere es derzeit. Wenn auch die Bundes-FDP "weite Teile der Maßnahmen nicht mitträgt", so seine Folgerung, sei "der Koalitionsstreit also vorprogrammiert“.
Auch Marcel Hafke, Vize-Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion, kritisierte auf Twitter indirekt den eigenen Koalitionspartner: "Nicht legitimierte Gremien treffen extreme Entscheidungen für über 80 Mio Menschen. Das geht überhaupt nicht."
Im WDR-Interview wurde er noch deutlicher: Entscheidungen müssten dort getroffen werden "wo sie hingehören - nicht in einer Telefonkonferenz mit Angela Merkel". Er bezeichnete das aktuelle Vorgehen als "undifferenziert und pauschal", forderte einen "Diskurs" und hoffe, "dass die CDU weiter für Argumente zugänglich" sei.
Pinkwart zwischen Loyalität und Kritik
Selbst FDP-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart versuchte am Donnerstag in einer Pressekonferenz zur Wirtschaftslage den schmalen Grat zwischen Loyalität gegenüber dem Koalitionspartner und doch unüberhörbarer Kritik: Er trage die Entscheidungen von Bund und Ländern, sagte er, auch die bei den Einschränkungen gesetzten Prioritäten halte er für richtig - etwa das Ziel, Kitas und Schulen offen zu halten.
Doch die Einschnitte seien "äußerst schmerzhaft", zumal Teilen der Wirtschaft "Sonderlasten" zugemutet würden "ohne Evidenz", dass sie tatsächlich Verursacher des Infektionsanstiegs seien. Pinkwart hob damit auf die besonders gebeutelte Gastronomie ab.
Auch würden ihm nachhaltige Strategien dazu fehlen, wie alle Wirtschaftsbranchen denn in Zukunft mit dem Virus leben könnten, gab Pinkwart zu. Das habe "die Politik" im Sommer versäumt, beklagte er - allerdings nicht, ohne sich selbst bei der Schuldzuweisung mit einzubeziehen. Zudem forderte Pinkwart - auch das lässt Kritik durchscheinen - "bessere Methoden", um "ein verlässliches Gesamtbild der Pandemie" zu bekommen, mit dem die Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen besser beurteilt werden könne.
Gerhart Baum: "Gesetze muss das Parlament beschließen"
Der ehemalige FDP-Bundesinnenminister Gerhart Baum sagt, er halte das Ausmaß der Einschränkungen für unverhältnismäßig. Zudem seien die Eingriffe in die Grundrechte nicht verfassungskonform. Die NRW-Regierung dürfe nicht per Erlass die Theater schließen, das müsse schon das Parlament tun "oder zumindest bestätigen", erklärt der Jurist.
Um dann eine Aufforderung anzufügen, die direkt an die Oppositionsparteien im Landtag gerichtet sein dürfte: "Die Parlamentarier müssen drauf drängen, dass sie mit einbezogen werden". Denn Gesetze, stellt der Jurist klar, "erlassen bei uns die Parlamente". So wie jetzt gehe es nicht weiter. Nach ruhigem Fahrwasser für die schwarz-gelbe Landesregieurung hört sich das nicht an.