Suche nach Arian: Bekommen andere Vermisste weniger Hilfe?
Stand: 15.05.2024, 17:37 Uhr
Eine Woche lang hat ein Großaufgebot an Einsatzkräften nach dem vermissten sechsjährigen Arian aus Bremervörde gesucht. Längst nicht immer sind Suchaktionen so groß. Warum?
Von Jörn Seidel
Nach dem Verschwinden Arians hatten zunächst Hunderte Einsatzkräfte und Helfer nach dem Jungen gesucht. An manchen Tagen waren es mehr als 1.000 Menschen. Nach rund einer Woche war die großangelegte Suche zunächst eingestellt worden.
Am Dienstag kündigte die Polizei nun an, dass die Suche nach Arian fortgesetzt wird. Polizisten befragten erneut Anwohner. Am Donnerstag soll der Fluss Oste erneut mit zwei Sonarbooten abgefahren werden, Taucher sollen ins Wasser steigen.
Arian ist kein Einzelfall. Jedes Jahr werden tausende Kinder in Deutschland als vermisst gemeldet. Warum gibt es nur bei wenigen von ihnen eine solch große Suchaktion wie bei Arian? Fragen und Antworten.
Warum war die Suchaktion für Arian größer als für andere vermisste Kinder?
"Das kann einen guten Grund haben. Aus ermittlungstaktischen Gründen werden auch nicht immer alle Gründe genannt", sagte Michael Mertens, NRW-Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, vor zwei Wochen dem WDR.
Es gebe für solche Fälle und Einsätze kein Muster, das für alle gelte, erklärt Mertens. "Der Polizeiführer muss immer den Einzelfall bewerten." Daher sei es "unheimlich schwierig", fair zu beantworten, warum der bisherige Sucheinsatz für Arian so groß war.
Peter Jamin, Vermisstenexperte
Peter Jamin, Journalist, Autor und seit drei Jahrzehnten Experte für Vermisstenfälle, vermutet, dass die Suchaktion für Arian auch deshalb so groß war, weil er Autist ist. "Es hieß, dass sich Arian verstecken könnte und wohl nicht von allein melden werde", sagte Jamin vor zwei Wochen dem WDR.
Laut anderer Experteneinschätzung reagiert Arian als Autist womöglich nicht auf Rufe, hat vielleicht auch keine Angst vor dem dunklen Wald.
Für den vorläufigen Abbruch der Suchaktion Ende April hatte Jamin daher kein Verständnis. Er kenne Fälle, in denen man Vermisste noch lebend gefunden hätte, "wenn man noch einmal und gründlich gesucht hätte".
Sind Suchaktionen für Vermisste in der Regel auch deshalb kleiner, weil es der Polizei an Personal mangelt?
Michael Mertens, GdP NRW
"Wir als GdP sagen schon seit Jahren, dass die Polizei zu wenig Personal hat. Das heißt aber nicht, dass deshalb ein erforderlicher Einsatz nicht stattfindet. Er findet statt", betont Mertens. "Aber dadurch kommt es zu einer erheblichen Zahl an Überstunden."
Wie häufig werden Kinder als vermisst gemeldet?
Das Thema "vermisste Kinder" habe in der Öffentlichkeit einen hohen Stellenwert, heißt es vom Bundeskriminalamt. Dadurch könne der Eindruck entstehen, dass die Zahl der nicht wieder aufgefundenen Kinder sehr groß sei, viele womöglich Opfer von sexualisierter Gewalt seien und die Polizei zu wenig unternehme, um sie zu finden.
"Die in den polizeilichen Datenbanken registrierten Zahlen zeigen jedoch ein anderes Bild", so das Bundeskriminalamt. Folgende jährliche Fallzahlen teilte die Behörde auf WDR-Anfrage mit:
Zwischen den Jahren 2018 und 2023 wurden jährlich im Schnitt etwa 16.500 Kinder als vermisst gemeldet. "Rund 15.800 Fälle vermisster Kinder haben sich im Jahresverlauf wieder erledigt", so das Bundeskriminalamt - und das meistens ohne große Suchaktion wie im Fall Arian. Geklärt werden sogar noch mehr Fälle: "Die Aufklärungsquote liegt bei Betrachtung der vergangenen sechs Jahre bei 99,8 Prozent."
Unsere Quellen:
- Michael Mertens, NRW-Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, im Gespräch mit dem WDR
- Peter Jamin, Journalist, Autor und Experte für Vermisstenfälle, im Gespräch mit dem WDR
- Bundeskriminalamt, Website und auf WDR-Anfrage
- Nachrichtenagentur dpa