Nach der Messerattacke auf dem Solinger Stadtfest haben Menschen in der Nähe des Tatortes Nachrichten sowie Blumen und Kerzen hinterlassen.

Hilfe nach Terroranschlägen: Wie sich das Trauma bewältigen lässt

Stand: 25.08.2024, 17:20 Uhr

Wer einen Terroranschlag erleben muss, Angehörige verliert, Verletzte versorgt oder Augenzeuge ist, wird diese Bilder oft nie mehr los. Laut Traumatherapeut Rainer Rothe brauchen Menschen, die unmittelbar einen Anschlag erlebt haben, schnelle Hilfe.

Von einer Sekunde auf die andere ist nichts mehr, wie es war. Wer einen Terroranschlag erleben muss, trägt die Bilder ein Leben lang mit sich herum. Vergleichbar mit den Kriegserfahrungen von Soldaten. Betroffene leiden körperlich und seelisch.

Psychotherapeut Rainer Rothe

Psychotherapeut Rainer Rothe

Ein bestimmter Geruch oder ein Geräusch können reichen - und plötzlich ist das Grauen wieder da. Die Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung sind vielfältig. Das weiß auch Traumatherapeut Rainer Rothe. Er betreute auch Menschen, die 2016 bei den Terroranschlägen am Berliner Breitscheidplatz oder in Nizza Angehörige und Freunde verloren haben oder die Anschläge unmittelbar miterlebten - so wie in Solingen. Auch hier stach der Täter mitten auf einem belebten Marktplatz mit einem Messer zu, tötete drei Menschen und verletzte weitere acht. Viele wurden Zeugen, sahen Menschen auf dem Boden liegen, erlebten Panik.

Lehren aus Attentat am Berliner Breitscheidplatz?

Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin 2016

Anschlag in Berlin 2016

Doch viele Opfer wissen gar nicht, welche Folgen so ein Ereignis für sie haben kann. Sie müssten darüber aufgeklärt werden, wie vor einer Operation, sagt der Psychologe. Das sei aber zum Beispiel beim Anschlag in Berlin lange nicht passiert, so seine Kritik. Niemand habe ihnen davon erzählt, was danach passieren könnte. Manche Betroffene können sich plötzlich nicht mehr rühren. Sie zittern, schreien auf in der Nacht, erlebten Schwindel, könnten nicht schlafen oder hätten Albträume.

"Die Leute denken, sie werden verrückt." Traumapsychologe Rainer Rothe

Diese Menschen brauchten dringend eine Therapie - schnell und unkompliziert. Doch das sei gar nicht so einfach. Behörden und Versicherungen verlangen oft mehrere Gutachten. Die Menschen sollen Fragenbögen mit 300 Fragen ausfüllen, berichtet Rothe.

"Die wollen aber nicht ankreuzen, ob sie suizidgefährdet sind - die wollen reden und ihren Schmerz mitteilen."

Der Psychologe berichtet von Schülern, die auf einer Klassenfahrt unmittelbar die Anschläge in Nizza erlebten und zuhause keine Betreuung durch Seelsorger bekamen. "Das kann man nicht machen." Nach dem Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz mussten manche Opfer erst klagen, bevor sie therapeutisch behandelt wurden, so Rothe.

"Man hat die Menschen allein gelassen"

Manche Betroffenen seien erst nach einem Jahr in Behandlung gekommen. Traumatherapeut Rainer Rothe kämpft seit Jahren dafür, dass sie von der Politik und den Behörden ernst genommen werden.

Eigentlich sei es vom Gesetz geplant, sogenannte Lotsen einzusetzen, die die Opfer an die Hand nehmen und bei Anträgen unterstützen. "Gerade jetzt in Solingen ist es besonders wichtig, dass die Opfer das nicht alles selber machen müssen."

Wie geht man mit dem Trauma um?

Nach so einem traumatischen Erlebnis sei es wichtig, sich rechtzeitig professionelle Hilfe zu suchen, um das Erlebte aufzuarbeiten.

"Das ist nicht alleine zu bewältigen."

Der Vorfall begleite ein Leben lang, aber man lerne durch therapeutische Maßnahmen damit umzugehen und nicht zu verzweifeln.

Wichtig sei aber auch, sich zusammenzuschließen mit anderen, zum Beispiel mit der Familie oder mit anderen Betroffenen. Auch Solidarität sei ein Weg zur Heilung. Über Gefühle reden, zuhören, Sicherheit geben. "Hier können auch Angehörige eine große Rolle spielen."

Psychosoziale und finanzielle Hilfe versprochen

Und was passiert nun in Solingen? Zwei Tage nach dem Anschlag wurde Unterstützung zumindest angekündigt. Die Opfer des Attentats sollen staatliche Hilfe bekommen. Die Betreuung der Betroffenen soll Pascal Kober (FDP) übernehmen. Er ist Beauftragter der Bundesregierung für die Anliegen von Opfern und Hinterbliebenen von terroristischen Straftaten.

Kober und die Beauftragte für den Opferschutz des Landes Nordrhein-Westfalen, Barbara Havliza (CDU), vermitteln den Angaben zufolge bei Bedarf psychosoziale, praktische und finanzielle Hilfen. "Wir werden versuchen zu helfen, wo immer es geht"“, sagte Kober. Für die Betroffenen sei unter der kostenfreien Telefonnummer 0800/0009546 eine Hotline zur psychosozialen Beratung freigeschaltet.

Über dieses Thema berichtet der WDR auch im Hörfunk: WDR 5 - Morgenecho am 26.08.2024 ab 06.05 Uhr.

Unsere Quellen:

  • Interview mit Traumatherapeut Rainer Rothe
  • Agentur epd
  • Agentur dpa