Gas-Lieferstopp für Polen und Bulgarien: Wann ist Deutschland dran?

Stand: 27.04.2022, 14:42 Uhr

Russland hat heute seine Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien eingestellt. Eine kaum verhüllte Drohung an den Großabnehmer Deutschland? Fragen und Antworten.

Wie angekündigt hat Russland am Mittwochmorgen seine Gaslieferungen nach Bulgarien und Polen gestoppt. Das teilte der Staatskonzern Gazprom mit. Aus dem Bundeswirtschaftsministerium hieß es in einer ersten Reaktion, die Versorgung in Deutschland sei gewährleistet.

Fragt sich nur: Wie lange noch? Wird nun auch Deutschland bald der Hahn abgedreht? Was wären die Konsequenzen? Fragen und Antworten.

Wie begründet Russland offiziell den Lieferstopp?

Wladimir Putin hatte bereits im März gedroht, "unfreundliche" Staaten würden nicht mehr mit Gas beliefert - außer sie bezahlten künftig in Rubel. Mit diesem Schritt sollte der durch die westlichen Sanktionen ausgelöste Wertverfall der russischen Währung aufgehalten werden. Die EU-Staaten lehnten ab, weil sie damit ihre eigenen Sanktionen unterlaufen würden. Sowohl Polen als auch Bulgarien haben ihr Gas seitdem auf die bisher übliche Weise in Euro oder Dollar bezahlt - womit nun der Lieferstopp begründet wurde.

Am Mittwoch drohte der russische Regierungssprecher Dmitri Peskow auch anderen EU-Staaten mit einem Lieferstopp. Sollten sich europäische Kunden weigern, ihre Rechnungen rechtzeitig in Rubel zu begleichen, könnte ihnen auch der Hahn abgedreht werden.

Wie und wann bezahlt Deutschland das russische Gas?

Weiterhin mit Euro und Dollar. Laut Mitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums vom Mittwoch wird Deutschland allerdings dabei auf eine russische Forderung eingehen: Die Bezahlung wird künftig über ein neues Konto bei der Gazprombank abgewickelt. Deutschland überweist seine Energieschulden in Euro und Dollar, die Bank konvertiert den Betrag in Rubel, kauft die Währung an der Moskauer Börse und überweist das Geld dann an Gazprom.

Die EU-Kommission hatte am Freitag (22.04.2022) erklärt, mit einem solchen Verfahren würden die Sanktionsbestimmungen wohl nicht verletzt. Somit stehen die Chancen gut, dass ein unmittelbarer Konflikt zwischen Russland und Deutschland um die Zahlungsmodalitäten vermieden werden kann.

Nach WDR-Informationen steht der deutsche Zahlungstermin für die April-Lieferungen noch nicht unmittelbar bevor - erst im Mai muss das Geld überwiesen werden.

Wäre Deutschland auf einen Lieferstopp vorbereitet?

Eher nicht. Im Jahr 2021 bezog die Bundesrepublik laut Daten der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe über 50 Prozent ihres Erdgasbedarfs aus Russland. Das Wirtschaftsministerium erklärte am Mittwoch, beim Gas sei inzwischen der Anteil russischer Lieferungen auf 35 Prozent gesunken. Bis zum Sommer 2024 könne es gelingen, weitgehend unabhängig zu werden. Das hänge aber vom Tempo des Ausbaus erneuerbarer Energien und vom Umfang der erzielten Energieeinsparungen ab.

Die Konsequenzen eines sofortigen Lieferstopps wären erheblich. Volkswirte der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung etwa rechnen im schlimmsten Fall für das laufende Jahr mit einem "Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um mehr als sechs Prozent", heißt es in einer Analyse des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Stiftung. Andere Institute schätzen die wirtschaftlichen Folgen eines Embargos geringer ein - warnen aber ebenfalls vor einer Rezession. NRW wäre besonders stark betroffen: Hier konzentriert sich zum Beispiel die deutsche Chemie- und Pharmabranche, die in einem besonderen Ausmaß von der Energie aus Russland abhängig ist.

Könnte sich Russland ein Gas-Embargo gegen Deutschland überhaupt leisten?

Das ist schwer einzuschätzen. Klar ist: Ein Lieferstopp würde nicht nur die deutsche Wirtschaft schwer belasten. Auch Russland würde stark unter den ausbleibenden Zahlungen seines besten Kunden in Europa leiden. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts (Destatis) wurden im vergangenen Jahr russische Waren im Wert von 33,1 Milliarden Euro nach Deutschland importiert. Fast 60 Prozent der Summe wurde für den Kauf von Erdöl und Erdgas ausgegeben.

Nach Berechnungen von Greenpeace könnte diese Summe im laufenden Jahr weit übertroffen werden, weil die Energiepreise auf dem Weltmarkt gestiegen sind: Der Studie zufolge wird Deutschland im laufenden Jahr rund 17,6 Milliarden Euro für Gas und 14,3 Milliarden für Ölimporte nach Russland überweisen. Es ist dabei sehr unwahrscheinlich, dass Russland nach einem Lieferstopp seine Rohstoffe kurzfristig in andere Länder umleiten könnte - zum Beispiel nach Asien.

Der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff wollte allerdings am Mittwoch im Gespräch mit dem "Deutschlandfunk" nicht ausschließen, dass Russland zu einem späteren Zeitpunkt auch Deutschland den Hahn zudrehen könnte - als "politische Geste". "Wir sollten uns aber davon nicht einschüchtern oder gar nervös machen lassen. Wir sind sowieso auf dem Weg, uns von diesen Lieferungen zu verabschieden."

Ist der Streit um Rubel der wahre Grund für den Lieferstopp?

Es ist zumindest auffällig, dass die Lieferungen nach Polen und Bulgarien so kurz nach der Ankündigung deutscher Waffenlieferungen in die Ukraine gestoppt wurden. Für Jens Südekum, Professor für internationale Volkswirtschaftslehre in Düsseldorf und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats im Bundeswirtschaftsministerium, ist der Lieferstopp aber vor allem eine unmittelbare Reaktion auf den Besuch von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in Polen am Dienstag.

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Habeck hatte bei dem Staatsbesuch erklärt, ein Stopp der Ölimporte aus Russland wäre innerhalb weniger Tage möglich. Im Zentrum der Überlegungen stehe dabei eine Raffinerie im ostdeutschen Schwedt, die dem russischen Staatskonzern Rosneft gehört. Schwedt ist an eine Öl-Pipeline aus Russland angebunden, könnte aber auch über Pipelines vom Rostocker Hafen beliefert werden. Mit der polnischen Regierung hatte Habeck am Dienstag auch darüber verhandelt, dass Schwedt zusätzlich über die "Plock"-Pipeline vom Hafen Danzig aus mit Öl versorgt werden könnte. Südekum ist sich sicher: "Putins Entscheidung, die Gaslieferungen nach Polen zu beenden, war hauptsächlich ein Racheakt für das Plock-Pipeline-Geschäft."

Offen ließ Habeck, wie ein Betreiberwechsel in Schwedt zustande kommen könne. Südekum weist aber darauf hin, dass die Bundesregierung erst am Montag eine Novelle des Energiesicherungsgesetzes verabschiedet hat. Die wichtigste Neuerung: Unternehmen, die kritische Energieinfrastrukturen betreiben, können - wenn sie ihren Aufgaben nicht mehr nachkommen - unter eine Treuhandverwaltung gestellt werden. Sogar eine Enteignung ist möglich, wenn die Sicherung der Energieversorgung nicht anders gewährleistet werden kann.

Über dieses Thema berichten wir im WDR am 27.04.2022 auch im Fernsehen: WDR aktuell, 12.45 Uhr.

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