Missbrauchsvorwürfe gegen ehemaligen Essener Kardinal Hengsbach
WDR aktuell. 19.09.2023. 07:00 Min.. Verfügbar bis 19.09.2025. WDR. Von Carmen Krafft-Dahlhoff.
Reaktionen auf Vorwürfe sexualisierter Gewalt: Hengsbach "wird vom Sockel gestoßen"
Stand: 20.09.2023, 06:58 Uhr
Der ehemalige Gründerbischof des Ruhrbistums in Essen, Franz Hengsbach, wird der sexualisierten Gewalt beschuldigt. Die Nachricht erschüttert viele im Bistum – und sorgt für lautstarke Reaktionen.
Das Bistum Essen hat die Flucht nach vorne angetreten und nach eigener Aussage "gravierende Missbrauchsvorwürfe" gegen den 1991 verstorbenen Kardinal und Gründerbischof des Ruhr-Bistums Franz Hengsbach veröffentlicht. Gleichzeitig appelliert der jetzige Bischof Franz-Josef Overbeck an mögliche weitere Betroffene, sich zu melden.
Die Nachricht über die Vorwürfe gegen Hengsbach, der nicht nur bei den Katholiken im Ruhrgebiet seit Jahrzehnten hohes Ansehen genoss, hat viele Menschen geschockt – und die Debatte um den Umgang der katholischen Kirche mit Vorwürfen sexualisierter Gewalt weiter befeuert. Es sei großer Gesprächsbedarf da, heißt es aus katholischen Gemeinden im Ruhrgebiet.
"Hässliche Fratze des Missbrauchs"
Johannes Norpoth vom Betroffenenbeirat
Der Sprecher des Betroffenenbeirats der Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Norpoth, sieht es an der Zeit, Gallionsfiguren wie Hengsbach vom Sockel zu stoßen. Er sei zwar einerseits eine herausragende Persönlichkeit, die viel Gutes bewirkt habe, sagte er im WDR-Interview. Andererseits dürfe das "die hässliche Fratze des Missbrauchs" nicht überdecken.
Man habe es erstmals mit einer hohen Persönlichkeit der Kirche zu tun, die nicht die Taten anderer vertusche, sondern die erstmals selbst beschuldigt sei – wenn auch nach seinem Tode. Norpoth wohnt im Ruhrgebiet, hat Hengsbach vor 1991 selbst erlebt und meint, die Vorwürfe gingen den Leuten im Ruhrgebiet "tief ins Mark".
Kritische Haltung auch im Bistum
Klaus Pfeffer, Generalvikar Bistum Essen
Auch das Bistum Essen selbst geht indes auf Distanz zu seinem früheren Gründerbischof. Generalvikar Klaus Pfeffer sagte gegenüber dem WDR: "Er war eine hohe Identifikationsfigur für das Ruhrgebiet, aber eben auch eine ambivalente Person." Gerade in der Zeit, in der Hengsbach für das Bistum Verantwortung trug, seien gravierende Missbrauchsfälle vorgekommen. Unter seiner Leitung seien diese Fälle völlig unzureichend oder überhaupt nicht bearbeitet worden.
Initiative Maria 2.0 fordert "schonungslose Aufklärung"
Die freie Initiative der katholischen Kirchen in Deutschland, "Maria 2.0", zeigt sich tief entsetzt über die ans Licht gekommenen Vorwürfe. "Ich habe früher mit ihm zu tun gehabt. Ich hätte es mir nie vorstellen können, dass auch er zu den Tätern gehört", so Aktivist Altfried Norpoth.
Der "Kardinal-Hengsbach-Platz" am Essener Dom
Wie einige andere fordert auch er, dass der "Kardinal-Hengsbach-Platz" vor dem Essener Dom umbenannt wird und die Denkmal-Statue des Gründerbischofs entfernt wird. "Er ist ein Täter, ein Missbrauchstäter, und da müssen alle gleich behandelt werden", sagt er.
Aktivist: Missbrauch "gerne vertuscht"
Der Aktivist für die Betroffenen sexuellen Kindesmissbrauchs durch Angehörige der katholischen Kirche, Matthias Katsch, reagierte ebenfalls über das soziale Netzwerk "X" auf die Vorwürfe gegen Hengsbach. Der Fall zeige, dass Bischöfe nur zu gerne das Thema Kindesmissbrauch vertuscht hätten, weil sie sich ihrer eigenen Übergriffe nur zu bewusst gewesen seien.
Fall von besonderer Dimension
Mit Franz Hengsbach hat es nun erstmals Vorwürfe gegen einen früheren deutschen Kardinal gegeben. Johannes Norpoth meint dazu, dass Aufklärung nicht vor Persönlichkeiten Halt machen dürfe, die viel Gutes bewirkt hatten. Und: "Es zeigt nochmal umso deutlicher, dass Aufarbeitung nochmal um ein Vielfaches erweitert werden muss."