Fall Dramé: Plädoyers nach langem Prozess

Lokalzeit aus Dortmund 04.12.2024 03:10 Min. Verfügbar bis 04.12.2026 WDR Von Catherine Jaspard, Christof Voigt

Kurz vor Urteil im Dramé-Prozess: angeklagte Polizistin und Angehörige weinen

Stand: 04.12.2024, 20:52 Uhr

Die Verteidiger der fünf angeklagten Polizistinnen und Polizisten hatten für ihre Mandanten Freisprüche gefordert. Nächste Woche will das Gericht das Urteil verkünden.

Von David Peters

"Die Tatsache, dass Mouhamed nicht mehr am Leben ist...", beginnt eine der angeklagten Polizistinnen ihre letzten Worte. Dann muss sie stocken. Wendet das Gesicht ab und beginnt zu weinen. Im Saal des Dortmunder Landgerichts ist es still. Dann fährt sie fort: "Das hat keiner von uns gewollt. Es tut mir unfassbar leid für alle Beteiligten." Sie ist die Einzige, die die Chance auf letzte Worte nutzt und sich nicht nur den Ausführungen der Verteidiger anschließt.

Das Bild zeigt Anwältin Lisa Grüter mit einem Angehörigen von Mouhamed Dramé als Nebenkläger

Auch auf der anderen Seite des Gerichtssaals fließen Tränen. Hier sitzen Sidy und Lassana Dramé, Brüder von Mouhamed Dramé. Sie sind aus dem Senegal gekommen und verfolgen den Prozess von Anfang an. Zwischen ihnen sitzt ein Dolmetscher, neben ihnen ihre Anwältin Lisa Grüter.

Vor zwei Jahren eskalierte ein Polizeieinsatz

Über zwei Jahre ist es her, dass ein Polizeieinsatz in der Dortmunder Nordstadt eskalierte. Der 16-Jährige Mouhamed Dramé, ein Geflüchteter aus dem Senegal, hockte in einer Nische seiner Jugendeirichtung und hielt sich ein Messer an den Bauch. Er wollte sich wohl umbringen. Betreuer riefen die Polizei. Die versuchte erfolglos den Jugendlichen anzusprechen. Zwölf Polizisten waren im Einsatz. Dann gab der Einsatzleiter den Befehl, dass eine Polizistin Dramé mit Pfefferspray attackieren sollte.

Krankenwagen und Polizei am Tatort in Dortmund (Polizei erschießt 16-Jährigen Mouhamed Dramé, 08.08.2022)

Dramé wurde vom Pfefferspray getroffen, erhob sich und bewegte sich in Richtung der Polizisten. Der einzige Fluchtweg. Zwei Beamte schossen mit ihren Tasern auf ihn. Ein Polizist mit einer Maschinenpistole. Sechsmal. Fünf Schüsse trafen. Mouhamed Dramé starb später im Krankenhaus.

So zumindest die Kurzfassung. Dann gingen die Ermittlungen los. Am Ende umfasste die Akte rund 2.500 Seiten und: Es wurde Anklage erhoben. Gegen fünf Polizistinnen und Polizisten: den Einsatzleiter, die Polizistin mit dem Pfefferspray, die beiden Polizisten mit den Tasern und auch gegen den Schützen. Die Tatvorwürfe reichten von gefährlicher Körperverletzung bis hin zu Totschlag. 30 Verhandlungstage hat der Prozess bis jetzt gedauert. Zeugen wurden gehört, Sachverständige und auch die Polizisten selbst.

Dramé-Prozess: Tränen bei Angeklagter und Angehörigen

WDR Studios NRW 04.12.2024 00:23 Min. Verfügbar bis 04.12.2026 WDR Online


Staatsanwaltschaft forderte Freiheitsstrafe für Einsatzleiter

Am Montag hatte dann die Staatsanwaltschaft ihr Plädoyer gehalten. Ihrer Ansicht nach habe sich nur der Einsatzleiter strafbar gemacht. Die Forderung: Zehn Monate Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt werden können und eine Zahlung von 5.000 Euro an eine Jugendeinrichtung. Für die vier anderen Angeklagten forderte die Staatsanwaltschaft Freisprüche.

Unverständlich findet das Lisa Grüter, die die Angehörigen von Dramé als Nebenkläger vertritt. Die geforderte Strafe läge zwei Monate unter dem Strafmaß, das dazu führen würde, dass der Einsatzleiter seinen Beamtenstatus verliere.

Das Bild zeigt wie die Angeklagten zum vorletzten Mal den Gerichtssaal betreten

Der Tod von Dramé sei dem Einsatzleiter anzurechnen. "Von Mouhamed Dramé ging zu keiner Zeit eine Gefahr aus", betonte Grüter. Der Einsatzleiter habe sich nur auf eine Eskalation des Einsatzes vorbereitet und mögliche Alternativen nicht in Betracht gezogen. Stattdessen habe er rechtswidrig den Einsatz des Pfeffersprays befohlen.

Alles rund um den Prozess gegen die fünf Polizisten:

Verteidiger: Einsatz war recht- und verhältnismäßig

Michael Emde, Verteidiger des Einsatzleiters, sieht das anders: Sein Mandant "hat sich das überhaupt nicht einfach gemacht." Dass Dramé ein Messer in der Hand gehalten habe, habe die Situation für die Polizisten "brandgefährlich" gemacht. "Mein Mandant hat das Beste, was er tun konnte, getan." Seiner Meinung nach sei der Einsatz recht- und verhältnismäßig gewesen. Für seinen Mandanten bleibe deswegen nur der Freispruch. Dennoch erklärte Emde: "Das ist in jedem Fall eine Tragödie gewesen. Das ist für die Familie schlimm und für meinen Mandanten schlimm."

Urteil in der kommenden Woche erwartet

Die Verteidiger der übrigen vier Polizisten schlossen sich den Freispruch-Forderungen der Staatsanwaltschaft an. Am 12. Dezember will der Vorsitzende Richter Kelm das Urteil verkünden. Damit würde nach 31 Verhandlungstagen und rund einem Jahr der Prozess gegen die Polizisten enden.

Unsere Quellen:

  • Reporter im Gericht
  • Plädoyers der Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung