Es ist kühl, der Himmerl ist grau, am Mittag gibt es einen dicken Regenguss, trotzdem machen sich am Karfreitag mehrere Hundert Menschen vom Stadion Rote Erde in der Dortmunder Innenstadt auf den Weg zum Mahnmal im Stadtwald Bittermark.
Gedenklauf an ermordeten BVB-Platzwart
Der Heinrich Czerkus-Lauf erinnert an den ehemaligen Platzwart von Borussia Dortmund, der in den Ostertagen 1945 zusammen mit 230 anderen Widerstandskämpfern und Zwangsarbeitern an mehreren Orten in Dortmund ermordet wurde. Die Teilnehmer sind mit dem Fahrrad, wandernd oder joggend unterwegs, viele in schwarz-gelben Fanuntensilien.
Nach rund zwei Stunden erreichen die letzten von ihnen das Mahnmal in der Bittermark. Dort warten weitere Teilnehmer des Karfreitagsgedenkens. Zum Beispiel Georg Deventer. Der 77-Jährige mit den weißen Haaren und dem grauen Schnäuzer zupft gerade noch an der Schleife eines Gedenkkranzes.
Geschichte darf sich nicht wiederholen
Dieser liegt zusammen mit vielen anderen Kränzen am Fuße des Mahnmals. "Ich bin Jahrgang 1947, ich trage keine Schuld an den damaligen Verbrechen, aber ich habe die Verantwortung, dass sich die Geschichte nicht wiederholt," sagt Deventer. Deswegen engagiert er sich seit 20 Jahren beim Förderverein Steinwache/Internationales Rombergpark-Komitee.
Seit zwei Jahren ist Deventer sogar Vorsitzender des Vereins, der es sich zur Aufgabe gemacht hat die Erinnerung an die Verbrechen der Nazis lebendig zu halten. Deswegen war er noch am Morgen auf dem internationalen Friedhof in Dortmund Brackel, auf dem bis zu 6000 ehemalige Zwangsarbeiter begraben liegen: "Wir haben dort Namensplaketten angebracht für zwei Frauen, die als Zwangsarbeiterinnen in Dortmund gestorben sind und ein Kind, das nur wenige Wochen alt wurde und bei einem Luftangriff umkam."
Der Ort Bittermark bleibt für ihn aber ein ganz besonderer. Deventer sagt, dass es für ihn immer wieder berührend sei hier zu stehen, vor allem wenn er die Namen der Opfer lese. Kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner nach Dortmund zeigten die Nationalsozialisten noch einmal, wie wenig Menschenleben im Dritten Reich zählten. Vom 7. März bis zum 12. April wurden in der Bittermark, im Rombergpark und auf einem Eisenbahngelände mehr als 200 Menschen ermordet.
Morde kurz vor der Befreiung
Die Gestapo hatte im Februar 1945 zahlreiche politische Gegner der Nazis verhaftet. Ab Anfang März wurden die Widerstandskämpfer dann aus der Steinwache und dem Hörder Gestapo-Gefängnis dorthin verschleppt.
Unter den Ermordeten befanden sich aber auch zahlreiche Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion, Jugoslawien, Polen, Frankreich und den Beneluxstaaten. Sie alle wurden von der Gestapo erschossen und dann in Massengräbern verscharrt. Die Leichen wurden nach dem Krieg exhumiert.
Seit Ende des Krieges findet an Karfreitag die Gedenkfeier in der Bittermark statt, seit 1960 erinnert außerdem das Mahnmal an die Opfer. Vor dem Mahnmal ist an diesem Karfreitag eine kleine Bühne aufgebaut, für Redebeiträge, daneben sitzen ein Posaunen- und ein Kinderchor untermalen die Veranstaltung musikalisch.
Schweigeminute für die Opfer
Zunächst wird mit einer Schweigeminute der 230 Opfer der Karfreitagsmorde gedacht, die stellvertretend für die Millionen Opfer des Nationalsozialismus stehen. Dann hält der Dortmunder Bürgermeister Norbert Schilf seine Rede. Er zieht von den damaligen Verbrechen den Bogen zur heutigen Zeit: "Am 7. Oktober des vergangenen Jahres wurde die Welt erneut Zeuge eines schrecklichen Terroraktes. Er traf Israel völlig überraschend. Der Terror der Hamas richtete sich insbesondere und gezielt gegen die Zivilbevölkerung mit Massakern."
Schilf nennt es beschämend, dass die Solidaritätskundgebungen für die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger nur wenige Menschen besucht hätten. Der Antisemitismus sei nach wie vor eine ernstzunehmende Gefahr: "Die Pogrome und der Holocaust dürfen niemals vergessen werden. Sie sind Mahnmale der Geschichte, die uns lehren, dass aus Gleichgültigkeit und Schweigen Gewalt erwächst."
Lehren aus der Vergangenheit ziehen
Das sieht auch Georg Deventer so: "Es ist wichtig auch nach dem 20. Januar, als wir die erste große Demonstration gegen Rechts hier in Dortmund hatten, die Zivilgesellschaft aus der Lethargie zu holen. Denn Lethargie und Gleichgültigkeit sind die größte Gefahr für die Demokratie." Sollte das nicht gelingen befürchtet Deventer etwa bei der Europawahl ein blaues Wunder.
Quellen:
- Stadt Dortmund
- Aufruf zum Heinrich Czerkus-Gedächtnislauf
- Rede Norbert Schilf
- Interview Georg Deventer
- Reporter vor Ort