Außenansicht eines Gebäudes der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen

Belästigungsvorwürfe: Hat ein Professor in Gelsenkirchen seine Macht ausgenutzt?

Stand: 06.04.2023, 19:13 Uhr

Ein Dozent der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen soll Studenten über Jahre hinweg bedrängt und seine Machtposition ausgenutzt haben. Ein junger Mann äußert sich im WDR-Interview.

Es soll viel Alkohol geflossen sein, immer wieder Einladungen in seine Wohnung gegeben haben. Ein Hochschullehrer der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen soll Studenten so begegnet sein, dass die sich unter Druck gesetzt fühlten. Immer wieder soll der Professor die Nähe gesucht haben.

Junger Mann äußert sich im WDR-Interview

Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) hatte zuerst über den Fall berichtet. Eine Redakteurin der Zeitung hat vor etwa einem Jahr mit den Recherchen begonnen. "Vor einiger Zeit hat sich ein mutmaßlich Betroffener an mich gewandt. Ich hatte ein ziemlich langes und intensives Gespräch mit ihm", so die Redakteurin. Inzwischen habe sie mit sechs jungen Männern unabhängig voneinander gesprochen. Alle erheben ähnliche Vorwürfe gegen den Professor.

Am Donnerstag hat auch der WDR mit einem jungen Mann gesprochen, der die Vorwürfe bekräftigt. Jahrelang gab es durch die Arbeit an der Hochschule ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen ihm und dem Professor. Da er seinen richtigen Namen nicht nennen möchte, nennen wir ihn Paul. Im Interview erzählt Paul: "Er hat einen gefördert, hat echt Potenzial gesehen. Das war für mich neu. Dann merkte ich: Er will dafür eine Gegenleistung. Hat zum Beispiel gesagt: Ich habe dir geholfen, du kannst etwas für mich tun, damit ich nicht alleine bin."

Wir fragen Paul auch, warum er auf den Wunsch des Professors eingegangen ist und sich privat mit ihm getroffen hat: "Allein durch die Titel und den Einfluss, den er an der Hochschule hatte, hatte man schon das Gefühl, dass er einem Steine in den Weg legen könnte. Er hat seinen Einfluss in alle Richtungen betont." Der Hochschullehrer soll weit gegangen sein. Liegestütze mit nacktem Oberkörper sollen von ihm eingefordert worden sein. Der Professor habe auch auf der Couch in der Wohnung eines Studenten übernachtet.

"Ich weiß, dass er von diesem Studenten dann eine Umarmung wollte. Da hatte der Prof aber nur noch Boxershorts und T-Shirt an", sagt Paul. Er wisse zudem von einem Fall, bei dem der Professor bei Dienstreisen mehrmals ein Doppelzimmer gebucht haben soll. "Er hat das wohl so gerechtfertigt: Jetzt habe man zusammen ein schickes Hotel", so Paul.

Paul kritisiert, dass man Studierende viel eher besser hätte schützen können. Es habe schon 2019 Vorwürfe eines einzelnen Studierenden gegeben, die der Hochschule bekannt gewesen sein sollen. Denen hätte man damals genauer nachgehen sollen, sagt er. Ihm selber habe das Agieren des Professors so zugesetzt, dass er inzwischen eine Psychotherapie begonnen habe.

Anwalt gibt Stellungnahme ab

Auf Anfrage des WDR äußerte sich der Anwalt des Beschuldigten zunächst am Dienstag (04.04.23) mit der Vorgabe, die Stellungnahme ungekürzt zu veröffentlichen:

"Unser Mandant hat Studenten weder sexuell belästigt noch eine ihm unterstellte Macht missbraucht. Die unserem Mandanten vorgeworfenen Sachverhalte, die nicht zutreffen, stellen schon keine sexuelle Belästigung dar. In der WAZ-Anfrage war von diesem Strafbarkeitsvorwurf keine Rede. Diesen Vorwurf erstmals in der Berichterstattung zu bringen, ist journalistischer Machtmissbrauch und rechtswidrig.“ Dr. Marcel Leeser, Medienanwalt der Kölner Kanzlei Höcker

Nach dem Interview mit Paul konfrontieren wir den Beschuldigten am Donnerstag noch einmal. Wieder kommt eine Antwort von seinem Anwalt: "Niemals war das Verhalten unseres Mandanten sexuell motiviert, sondern vielmehr ausschließlich studienbezogen und freundschaftlich", heißt es in der Stellungnahme.

Professor vorläufig suspendiert

Die Leitung der Westfälischen Hochschule bestätigte dem WDR bereits am Dienstag, dass sie die Vorwürfe seit Ende des vergangenen Jahres kennt. "Da sind eine Reihe von Studierenden auf mich zugekommen und haben die Vorwürfe, die im Raum stehen, beschrieben", so Bernd Kriegesmann, Präsident der Hochschule. Er berichtet außerdem, dass es inzwischen weitere Betroffene gibt, die etwas über den Beschuldigten aussagen wollen.

Der Professor ist seit Mitte Februar vom Dienst freigestellt. Ein Disziplinarverfahren ist eingeleitet.

Über dieses Thema berichten wir am 06. April 2023 im WDR Fernsehen: Lokalzeit Ruhr 19:30 Uhr.

#MeToo löst Debatte um Machtmissbrauch aus (am 15.10.2017)

WDR ZeitZeichen 15.10.2022 14:57 Min. Verfügbar bis 15.10.2032 WDR 5


Download