Ein Zug hält an einem Bahnsteig

"Einfach nur frech": So bereiten sich Pendler auf den Bahnstreik vor

Stand: 15.11.2023, 21:00 Uhr

20 Stunden Stillstand: Der Bahnstreik trifft Pendler im Ruhrgebiet besonders hart. Tausende Pendler zwischen Duisburg und Dortmund müssen erfinderisch werden.

Von Sebastian TischkovSebastian Tischkov

Essen Hauptbahnhof, kurz vor 19 Uhr – der bei Pendlern wohlbekannte Ansagen-Gong der Deutschen Bahn hallt über Gleis 11: "Information zu S1 nach Dortmund Hauptbahnhof, über Bochum Hauptbahnhof. Ursprüngliche Abfahrt 18:55 Uhr von Gleis 11. Fällt heute aus. Grund dafür sind Streikmaßnahmen".

Und das noch vor dem offiziellen Streikbeginn um 22 Uhr. Von Mittwochabend, 22 Uhr bis Donnerstagabend, 18 Uhr, legen die Mitglieder der Lokführergewerkschaft GDL ihre Arbeit nieder. Betroffen sind nur Verbindungen der Deutschen Bahn im Nah- und Fernverkehr.

Die von der DB betriebene S1 bleibt keine Ausnahme. Lange Gesichter am Bahnsteig, das Handy wird gezückt – aber der Zug 20 Minuten später soll bislang noch pünktlich kommen. Am Donnerstag werden Pendler wohl weniger Glück haben, da soll die S-Bahn zwischen Dortmund und Solingen nur ein Mal stündlich kommen.

Schnell noch in den letzten Fernzug

Drei Bahnsteige weiter – wieder lange Gesichter. Der ICE nach Hamburg kommt fast eine Stunde zu spät. Einige versuchen offenbar noch, kurz vor Streikbeginn den letzten Zug zu erwischen. Auch Anna Lisicki aus Essen, die auf den verspäteten Hamburg-Zug wartet.

Eine Frau steht am Bahnsteig, hinter ihr hält ein Fernzug

Anna Lisicki versucht, schnell nach Hamburg zu kommen

Sie will nach ihrem Heimatbesuch zurück nach Hamburg, zurück zum Praktikum. "Ich hoffe, der kommt jetzt auch noch pünktlich", sagt die Essenerin. "Ich weiß nicht, ob die wirklich dann, wenn der Zug noch um 22 Uhr fährt, komplett aufhören. Weil, dann stehe ich ja noch in der Pampa".

Das könnte knapp werden – mit Verspätung soll der Zug erst um 22:30 Uhr am Hamburger Hauptbahnhof ankommen. Egal, wie: Morgen muss die junge Frau wieder am Arbeitsplatz sein.

Ihren Freund trifft der Streik aber noch härter, er muss von Essen nach Mönchengladbach zur Uni. "Der wollte mal Freunde fragen, ob sie ihn mitnehmen können. Ansonsten zu Hause bleiben", weiß Lisicki über die Pläne ihres Partners.

Umstrittener Streik

Zum Streik hat die junge Essenerin eine klare Meinung: "Ich finde das auch frech, ehrlich gesagt, weil so viele Menschen darauf angewiesen sind. Und es ja eh schon nicht klappt". Der Streik sei auch angesichts hoher Ticketpreise nicht fair.

Immerhin wusste Anna Lisicki, dass ein Streik bevorsteht – andere werden davon offenbar kalt erwischt. So wie eine Menschengruppe aus Burkina Faso, die sich am Abend in der Bahnhofshalle mit Essen eindeckt. Sie besuchen aktuell die Medizin-Fachmesse Medica in Düsseldorf und haben in Essen ein Hotel.

Ein Pendler steht in der Eingangshalle des Essener Hauptbahnhofs

Aymar Wendpouloumde wurde vom Bahnstreik überrascht

Auf den Bahnstreik angesprochen zeigt sich einer der Messebesucher verwundert. Streik? Heute und morgen? Tatsächlich, von 22 bis 18 Uhr. "Dann werden wir wohl versuchen, das Ticket zurückzugeben", sagt Aymar Wendpouloumde.

Alternative: Taxi oder andere Bahnunternehmen

Er will versuchen, mit dem Taxi nach Düsseldorf zu kommen. Oder mit dem Nahverkehr, der noch fährt: Etwa die Regionalexpress-Linien RE1 und RE6, die von National Express betrieben werden.

Zurück zur S-Bahn, die an Gleis 11 hält. Die ausgefallene Bahn nach Dortmund ist längst vergessen. Der nächste Zug kommt gleich. Jürgen Berger steht mit seinem Rad am Gleis, will von der Arbeit heim nach Hattingen.

Auf dieser Strecke ist man Kummer offenbar gewohnt: Die Bahn heute Morgen nach Essen sei auch schon nicht gekommen, sagt er. Die Bahn-App werde vor jeder Fahrt gecheckt.

"555 Euro für jeden, das ist schon eine heftige Zahl"

Den Streik sieht der Pendler kritisch: "Ich glaube, es ist einerseits gerechtfertigt, aber sie übertreiben es. Die Forderungen: 555 Euro Plus und eine 35-Stunden-Woche hätte ich auch gerne", sagt Berger.

Sein Rad habe er immer als Notfalloption mit, falls der Zug mal ausfällt. Mit Regenjacke und Regenhose in den Gepäckträger-Taschen. Pendeln macht halt erfinderisch. Und damit ist klar, wie der Hattinger morgen zur Arbeit kommt: Auf 19 Kilometern mit dem Rad.