Zweitzeugen

Für Arbeit gegen Antisemitismus: Essener Verein bekommt internationalen Preis

Stand: 23.01.2023, 06:53 Uhr

Sich an den Holocaust erinnern, auch wenn die Zeitzeugen irgendwann nicht mehr leben – dafür geht der Verein "Zweitzeugen" in Schulen. So werden die Schüler selbst zu zweiten Zeugen, also "Zweitzeugen".

Von Alicia Theisen

"Lieber Siegmund, auch wenn du diesen Brief nicht mehr lesen kannst, hoffe ich, dass du weißt, dass viele Menschen dankbar dafür sind, dass du deine Geschichte mit uns teilst", schreibt der 14-jährige Simon in einem Brief an Siegmund Pluznik. Plutznik versteckte sich 1941 vor den Nazis und schloss sich in Polen einer Widerstandsgruppe an.

Genau wie seine Klassenkameraden will Simon die Geschichte von Siegmund Plutznik weitererzählen. An seine Eltern, seinen besten Freund, die ganze Schule. So wird der 14-Jährige selbst zum "Zweitzeugen".

Zeitzeugen erzählten bei einer Tasse Kaffe

Denn genau wie Siegmund Pluznik sind viele Zeitzeugen inzwischen verstorben oder über 80 Jahre alt. Der Verein "Zweitzeugen" hat deswegen mit 37 Menschen, die den zweiten Weltkrieg miterlebt haben, gesprochen. In Schweden, den Niederlanden, Deutschland, aber auch Israel.

Zweitzeugen

Die meisten Interviews haben die Ehrenamtlichen in den Wohnungen der Zeitzeugen geführt. Bei einer Tasse Kaffee erzählten sie ihre Geschichten. "Wir haben Tonaufnahmen gemacht, damit man die Stimmen nie vergisst. Und auch Fotos gesammelt", sagt die Geschäftsführerin von "Zweitzeugen", Nina Taubenreuther.

Mit vergilbten Kinderfotos und den Tonaufnahmen gehen die Ehrenamtlichen dann in Schulen oder andere Bildungseinrichtungen. Dort erzählen sie den Schülern nicht nur die Geschichte der Zeitzeugen, sondern zum Beispiel auch, dass Siegmund Pluznik in einer modernen, hell eingerichteten Wohnung lebte, das er ein unglaublich intelligenter Mann war, offen und freundlich.

"Wir haben uns das Versprechen gegeben, zu überleben, um erzählen zu können" Siegmund Pluznik

Verein bekommt Obermayer Award

"Die Kinder und Jugendlichen wissen oft schon super viel", sagt Nina Taubenreuther. "Wir gehen nach einem einfachen Prinzip vor: Herz - Kopf - Hand. Die persönliche Geschichte eines Zeitzeugen ist emotional und berührt. Das neue Wissen landet im Kopf und Hand, weil viele Kinder nach den Workshops selber anpacken wollen."

Mit einer Projektwoche gegen Antisemitismus in der Schule, einer bunt bemalten Graffiti-Wand oder einfach, indem die Kinder und Jugendlichen die Zeitzeugen-Geschichten weitererzählen, werden sie zu "Zweitzeugen". So ist sicher, dass die Geschichten der Zeitzeugen weiterleben, wenn sie selbst sie nicht mehr erzählen können.

Am Abend (23.01.) bekommt der Essener Verein für seine Arbeit in Berlin den Obermayer Award. Der internationale Preis wird an Personen und Vereine verliehen, die sich besonders für die Bewahrung von jüdischer Geschichte und die Bekämpfung von Vorurteilen in der heutigen Zeit einsetzen.

Über dieses Thema berichten wir am 23.01. auch in den WDR 2 Nachrichten.