23. Dezember in der Solinger Innenstadt. Heitere Geschäftigkeit – letzte Einkäufe werden gemacht, Erledigungen zum Fest stehen auf den Einkaufslisten. Etwas Hektik liegt in der Luft. Und trotzdem: Spricht man die Menschen auf das an, was am Freitagabend in Magdeburg passiert ist, sind die Erinnerungen an das Attentat von vor vier Monaten sofort wieder da.
Spuren des Attentats vom Sommer noch sichtbar
Damals hatte ein Mann an genau dieser Stelle in der Innenstadt drei Menschen getötet und viele andere verletzt. Vor der Stadtkirche entstand in kürzester Zeit ein riesiges Mahnmal mit Hunderten von Blumen und Kerzen.
Vier Monate später stehen noch immer einige Blumen dort – inzwischen in Töpfen, das hält länger. Und ein paar wenige Kerzen. Ein Mitarbeiter der Stadt untersucht gerade das Pflaster in der Nähe, dreht sich dann zu dem Ort des Gedenkens und hält kurz inne. "Es war wieder ein Schock am Freitagabend", sagt er. "Offenbar muss man jetzt mit sowas leben". Resignation steht ihm ins Gesicht geschrieben.
Manch einer ist froh, dass der Weihnachtsmarkt nun rum ist
Etwas weiter auf dem kleinen Solinger Weihnachtsmarkt baut Michael Karp-Decker mit seinem Team gerade die Stände ab – für dieses Jahr ist Feierabend. Er ist ganz zufrieden damit, wie es gelaufen ist. "Die, die da waren, haben sich gefreut und sind dankbar", sagt er.
Michael Karp-Decker baut gerade seinen Weihnachtsmarkt in Solingen ab. Gott sei Dank ist bei uns nichts passiert.
Aber der Freitagabend war auch für ihn ein Schock. Sofort kam alles wieder hoch, machten sich Bedenken breit, wurde alles nochmal gecheckt. Die einzige offene Zufahrt zu dem Platz wurde am Samstag noch mit einem Auto gesichert. Michael Karp-Decker schaut nachdenklich: "Ich bin froh, dass dieser Weihnachtsmarkt rum ist, aber wichtig ist: wir müssen es wieder machen."
Die Nachricht aus Magdeburg beendete den Weihnachtsmarktbesuch
Der Markttreff, eine Kneipe am Neumarkt, ist an diesem Vormittag noch gut besucht. Vor der Tür stehen an einem Tisch vier Mittvierziger mit einem Glühwein. Man trifft sich nochmal zum "Töttern". Und natürlich wird auch Magdeburg thematisiert. "Jetzt waren wir Solinger endlich aus den Schlagzeilen raus, und schon sind wir wieder drin", sagt Sebastian.
Sarah, Patrick, Snezi und Sebastian treffen sich zum Glühwein vor Heiligabend – leider muss auch über Magdeburg gesprochen werden
Auf mehreren Weihnachtsmärkten seien er und seine Frau Sarah gewesen in den letzten Tagen. Immer habe man irgendwie unbewusst geschaut, wo man am besten und auch am sichersten stehen kann. "Das ist schon in uns drin". Und am Freitag sind sie auch in Leverkusen auf einem Markt gewesen. Als die Nachricht von Magdeburg über die Ticker kam, habe man aber dann doch den Heimweg angetreten.
Psychologische Hilfe, um den Anschlag zu bewältigen
Auf das Attentat angesprochen schaut Waldemar Gluch traurig. Er war einer der Mitorganisatoren des Stadtfestes, auf dem sich die Gewalttat am 23. August ereignete. War mittendrin, musste Entscheidungen treffen. Am Freitagabend habe der den Film "Der kleine Lord" gesehen, als die ersten Nachrichten über den Bildschirm flimmerten. "Jetzt drehst du dich um - du kannst es sowieso nicht ändern", habe er sich gedacht in dem Moment. Mit einer Schlaftablette ist er dann ins Bett gegangen.
Waldemar Gluch ist seit dem Anschlag in Solingen in psychologischer Behandlung.
Heute fühlt er mit den Opfern, aber auch mit den Veranstaltern des Marktes. "Habt Ihr denn auch alles für die Sicherheit im Vorfeld gemacht?" – die Frage war damals nach dem Anschlag mehrfach an ihn herangetragen worden. Gerade deshalb kann er heute so gut nachvollziehen, wie es den Menschen in Magdeburg jetzt gehen muss. Er selbst ist seit dem Sommer in psychologischer Behandlung. Im Januar ist sein nächster Termin.
Unsere Quellen:
- Reporterin vor Ort