Am Samstagmorgen stehen viele Menschen vor dem Tagungsraum am Düsseldorfer Flughafen. Rund 150 Menschen sind heute hier. Sie alle haben Panik, wenn sie in ein Flugzeug steigen oder buchen den Flug aus Angst gar nicht erst. Wie Christian Pittelkau. Der 41-Jährige will sich heute endlich seiner Angst stellen. Weil er Fliegen bisher gemieden hat, musste er sogar schon ein Berufsangebot ausschlagen.
Jeder hat seine ganz persönliche Motivation dafür, beim Training dabei zu sein. Eine Teilnehmerin erzählt, dass sie zu ihrem 40. Geburtstag eine Reise nach New York geschenkt bekommen hat, die sie mit ihrem Sohn antreten will. "Das ist zehn Jahre her und mein Sohn ist 18 - der will, dass wir langsam mal fliegen", erzählt sie. Deshalb hat sie sich fest vorgenommen, ihre Angst jetzt zu überwinden.
Aufgeregtes Gemurmel ist zu hören. Zu Beginn bekommen die Teilnehmer einen großen Umschlag mit Unterlagen und ihrer Bordkarte. Denn auch, wenn es heute ein Training ist - geflogen wird trotzdem, auch das muss geübt werden. Dafür werden die Teilnehmer in ein richtiges Flugzeug steigen, das extra dafür gechartert wurde.
Gründe für Angst verstehen lernen
Dr. André Wannemüller ist psychologischer Psychotherapeut an der Uni Bochum und leitet das Training. "Danke, dass Sie den Mut aufgebracht haben, hier zu sein", begrüßt er die Teilnehmer. "Ich kann mir vorstellen, dass Sie dauernd den Wetterbericht gecheckt haben." Nervöses Lachen gibt ihm Zustimmung.
Pilotin Reuter und Therapeut Wannemüller wollen gemeinsam die Angst nehmen
Der Psychotherapeut klärt auf, was Angst ist und wieso es sie gibt. Sie schütze uns in Situationen, in denen eine Bedrohung vorliegt. Auch körperliche Reaktionen wie Herzklopfen oder Schwitzen seien völlig normal und bei gesunden Menschen nicht gefährlich.
Daten werden gesammelt
Die Teilnehmenden müssen alle zum ersten Mal an diesem Tag einen kurzen Fragebogen ausfüllen. Außerdem müssen sie die erste von insgesamt fünf Speichelproben abgeben. Damit wird der Cortisolspiegel gemessen, um das Stresslevel der Teilnehmer genau bestimmen zu können. Die Daten werden später an der Uni Bochum ausgewertet, um Angststörungen näher zu erforschen.
Panik beim Einsteigen
Und dann geht es in Richtung Terminal. Die Teilnehmer finden sich in Fünfergruppen zusammen und bekommen jeweils einen Therapeuten zugeteilt, der sie die nächsten Stunden und auch beim Flug betreuen wird. Mark Neuper ist sich noch nicht so sicher, ob er heute ins Flugzeug steigen wird. Er war vor einem Jahr schon mal beim Training dabei und konnte sich nicht überwinden, einzusteigen. Aber auch er will sich seiner Angst endlich stellen.
Der Einstieg ins Flugzeug
Kurz vor dem Einstieg wird vielen der Ernst der Situation bewusst: Einige der Teilnehmenden weinen, andere überspielen ihre Angst. Im Flugzeug angekommen wird jeder von einer Stewardess begrüßt. Wer möchte, darf sich das Cockpit anschauen. Christian Pittelkau ergreift die Chance und stellt dem Piloten Fragen dazu, wie das Flugzeug funktioniert.
Kurz bevor die Türen schließen, entscheiden sich ein paar Teilnehmer noch dazu, doch nicht mitzufliegen. Die anderen bleiben sitzen. Eine Stewardess erklärt, dass die Flugroute heute von Düsseldorf bis nach Helgoland und zurück führen wird und macht die Sicherheitseinführung: Schwimmwesten unterm Sitz, Sauerstoffmaske kommt im Notfall von oben. Alles, wie bei einem ganz normalen Flug.
Nach dem Start sind die meisten entspannter
Dann hebt die Maschine ab. Der Start ist für die meisten schwierig - denn in dieser Phase des Fluges ist es relativ laut und es wackelt. Viele Teilnehmer weinen, die Therapeuten beruhigen ihre Patienten. Und sobald die Anschnallzeichen nicht mehr leuchten und damit der Start offiziell vorbei ist, wird auch die Stimmung merklich entspannter.
Christian Pittelkau hat es geschafft
"Dieses Gefühl beim Abheben hat mir schon ein Stück weit Angst gemacht, aber ist dann in Euphorie umgeschlagen, endlich in der Luft zu sein", erzählt Christian Pittelkau. "Das ist ein Meilenstein für mich, ich bin sehr stolz." Er hat es geschafft und kann die restliche Flugzeit genießen. Als der Flieger über der Nordsee ist, werden nach einer kurzen Ansage die Landeklappen aus- und eingefahren. Das soll allen an Bord zeigen, wie sich das anhört und dass dieses Geräusch vollkommen normal ist.
Fakten und Austausch mit anderen helfen
Immer mehr Passagiere trauen sich, aufzustehen. Sie tauschen die Plätze, damit jeder mal am Gang und am Fenster gesessen hat. Denn auch aus dem Fenster zu schauen ist für einige eine Herausforderung.
Was ihnen dabei hilft, die Angst zu überwinden, ist unterschiedlich - darüber sprechen sie im Anschluss. Für einige war es das Gefühl, dass alle anderen im Flieger ebenfalls mit den gleichen Problemen kämpfen und sich niemand schämen muss, wenn die Tränen kommen. Für andere war es das Gespräch mit Pilotin Elena Reuter, die ihnen alles über Turbulenzen oder Blitzeinschläge erklärt hat. "Sie meinte, dass ja auch die Crew wieder wohlbehalten landen will. Klingt simpel, aber das hat mir klargemacht, dass alle die Sicherheitschecks wirklich ernst nehmen", meint ein Teilnehmer.
Mark Neuper nach seinem allerersten Flug
Auch Mark Neuper hat sich seiner Angst gestellt und ist froh, endlich in einem Flugzeug zu sitzen - zum ersten Mal in seinem Leben. "Man macht sich ja im Vorfeld total viel Gedanken darüber, was passieren könnte. Aber ich habe es geschafft und bin total stolz."
Nach der Landung klatschen alle im Flieger: Aber nicht wie sonst nur für den Piloten und die Crew, sondern vor allem für sich selbst. In einer Reihe klatschen sich zwei Teilnehmer ab, andere umarmen sich. Sie alle haben sich ihrer Angst gestellt.
Über dieses Thema berichtet der WDR auch am 04.03.2024 im Fernsehen: WDR Lokalzeit aus Düsseldorf, 19:30 Uhr.