Während es mit der Energiewende in vielen Kommunen noch hapert, ist sie hier längst gelebte Realität: In Simmerath in der Eifel. Die kleine Gemeinde mit gerade einmal 16.000 Einwohnern hat im vergangenen Jahr mehr als 180 Prozent ihres Strombedarfs aus erneuerbaren Energien produziert. Möglich machen die Energie-Überschüsse unter anderem 22 Windräder. Zwei weitere Windanlagen werden gerade gebaut, mehr sind in Planung.
Es ist also kein Zufall, dass der erste Stopp Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Dienstag in die Eifeler Modellkommune geführt hat. Im Ortsteil Lammersdorf hatten er und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sich heute das Erfolgskonzept des Windparks zeigen lassen.
"Was notwendig ist, ist Mut"
Bei seinem Besuch in der Eifel hatte der Bundeskanzler zu mehr Entschlossenheit beim Ausbau der erneuerbaren Energien aufgerufen. Die Gesetze des Bundes und der Länder würden eine weitere Beschleunigung bringen. "Was dann noch notwendig ist, ist Mut auf allen Ebenen. Dann kann man die Gesetze auch schnell nutzen", erklärte er am Dienstag.
Anschließend gab es eine Begegnung mit Bürgern, Waldbesitzern sowie ein Gespräch mit den Windparkbetreibern. Die Beteiligten machten deutlich, dass sie auch mit zahleichen Vorbehalten gegen den Ausbau des Windparks zu kämpfen hätten. Die kämen von Eifel-Wanderern bis zu Astrophysikern, die um die Messgenauigkeit ihrer Geräte fürchteten.
Simmerath – eine Blaupause für die Energiewende?
Hendrik Wüst mit dem Städteregionsrat und dem Simmerather Bürgermeister Bernd Goffart.
Simmerath produziert grünen Strom für bis zu 60.000 Haushalte und damit deutlich mehr, als die Gemeinde selbst und die dort ansässige Industrie benötigen. Durch den Lammersdorfer Windpark erziele die Gemeinde Einnahmen, erklärt Bürgermeister Bernd Goffart (CDU): durch die Verpachtung der Flächen, eine Einmalzahlung, die Gewerbesteuer, eine Gewinnbeteiligung und 0,2 Cent pro produzierter Kilowattstunde Strom.
Rund zwei Millionen Euro würden dadurch in diesem Jahr in den Haushalt der Gemeinde fließen. Die Gemeinde wiederum könne das in Form niedrigerer Steuern an die Einwohner weitergeben.
Forderung nach weniger Bürokratie
"So profitieren alle und nicht nur die Investoren von dem Windpark. Jeder weiß, dass er persönlich etwas davon hat", sagt Bernd Goffart. Das sorge auch für mehr Akzeptanz für die Windenergie. Der Bürgermeister wünscht sich vom Kanzler vor allem eins – weniger Bürokratie und schlankere Verfahren, um Projekte vor Ort schneller voranzubringen.
Vom Verbrennerauto zum Elektroantrieb
Nach seinem Besuch im Simmerather Windpark ging es für Olaf Scholz weiter zum Werk des Autozulieferers Neapco in Düren. Großes Thema auch hier der Strukturwandel. Und konkret, wie sich das Unternehmen auf die Transformation vom Verbrennermotor auf den Elektroantrieb einstellt.
Indem man dem Bundeskanzler die neusten Entwicklungen nahebringt, erhofft man sich im Neapco-Werk finanzielle Unterstützung, "dass nicht nur Forschung und Entwicklung gefördert wird, sondern auch Industrialisierung", sagt Geschäftsführer Frank Lamberty. Das ist bislang noch nicht der Fall. Fördergelder sollten Anreize setzen, dass die Produktion von Innovationen wie dem Radnabenmotor in Düren stattfindet und nicht am Ende in billigere Länder abwandert.
Auch wenn am Ende des Kanzlerbesuchs diese Frage offen bleibt, ist der Geschäftsführer zufrieden: "Wir konnten nicht erwarten, dass der Kanzler am Ende, bevor er das Werk verlässt, schon den Scheck auspackt". Aber man habe ihm die Botschaft nahegebracht, dass man die Hilfe der Politik brauche, um Arbeitsplätze zu erhalten und neue zu schaffen.
Kohleausstieg: Scholz trifft Bürgermeister betroffener Kommunen
Diskussionsbedarf gab es auch beim letzten Termin: Denn trotz positiver Beispiele für gelingenden Strukturwandel bringt der um acht Jahre auf 2030 vorgezogene Kohleausstieg für das rheinische Revier gewaltige Probleme und Herausforderungen. Darum ging es bei einem Treffen des Kanzlers mit 20 Bürgermeistern von Tagebau-Anrainerkommunen.
Die Politik hätte sich mit dem vorgezogenen Kohleausstieg auf die Überholspur begeben, sagt Thomas Hissel, einer der Sprecher der Anrainerkommunen. Jetzt müsse man sich auch mit der Strukturstärkung auf die Überholspur begeben und das Tempo gehörig anziehen: "Sieben Jahre, um eine Leitindustrie umzukrempeln, ist in diesen Dimensionen quasi übermorgen."
Aktuell dauerten Genehmigungsverfahren und Förderanträge einfach zu lange. Von Scholz wünsche er sich, "dass sich der Kanzler in Berlin für eine direkte Unternehmensförderung einsetzt, um Unternehmen in die Region zu holen", so Hissel - damit Arbeitsplätze da geschaffen werden, wo sie durch den Kohleausstieg wegfallen.
Rheinisches Revier musste Opfer bringen
Auch der Dürener Bürgermeister Frank Peter Ullrich (SPD) rief noch einmal in Erinnerung, dass die Region jahrzehntelang "große Opfer" gebracht habe. Es sei nicht nur die Landschaft verändert, sondern auch ein Stück Heimat zerstört worden. "Soziale Strukturen wurden zerschlagen und sind zum Teil bis heute nicht in der Qualität wieder entstanden", so Ullrich. Jetzt dürften diese Menschen nicht erneut in große Unsicherheit gestürzt werden.
Der Bundeskanzler zeigte sich am Dienstag unterdessen zuversichtlich. Das Rheinische Revier werde auf keinen Fall allein gelassen. "Unser Ziel muss sein, dass wenn die Kohleverstromung endgültig endet, wir mit dem Strukturwandel so weit vorangekommen sind, dass genügend neue Arbeitsplätze entstanden sind. Das ist unser Ziel."