Kriminallfall Bruno Fabeyer: Die Stunde des Nazi-Richters

Stand: 22.11.2022, 15:44 Uhr

Einer der spektakulärsten Kriminalfälle der Nachkriegszeit erweist sich nach WDR-Recherchen als Justizskandal. Ein ehemaliger Wehrmachtsrichter urteilte im Verfahren gegen den sogenannten "Moormörder" 1967 über ein NS-Opfer.

Es war ein kurzer Prozess: Ganze vier Tage brauchte die große Strafkammer des Landgerichts Osnabrück für das Urteil: lebenslänglich Zuchthaus und Sicherungsverwahrung.

18 Monate hatte das ganze Land nach Fabeyer gefahndet: Neben Hundertschaften der Polizei beteiligen sich auch Schützen- und Jagdvereine, Feuerwehrleute und sogar Besitzer von Privatflugzeugen.

Der Gesuchte fand Unterschlupf im Unterholz oder in abgelegenen Scheunen. Auf norddeutschen und westfälischen Bauernhöfen, aber auch in der Eifel klaute er vor allem Lebensmittel. Auf der Flucht hatte er einen Polizisten erschossen und einen Postbeamten schwer verletzt.

Im Prozess spielte neben den Taten vor allem der Lebenslauf des 1926 geborenen Bruno Fabeyer eine entscheidende Rolle. Schon als 11-jähriger kam der schwer stotternde Junge in ein berüchtigtes Erziehungsheim der Nazis, als 18-Jähriger wurde er 1944 zur Wehrmacht eingezogen. Als er vor dort zu seiner Mutter floh, wurde er zu schwerer Zwangsarbeit in verschiedenen Konzentrationslagern verurteilt.

Landgerichtsdirektor verschwieg Teile seiner NS-Vergangenheit

Das Osnabrücker Schwurgericht mit Landgerichtsdirektor Friedrich Jagemann in der Mitte

Als Fabeyer im November 1967 der Prozess gemacht wurde, stand nicht nur für die breite Öffentlichkeit die Schuld längst fest. Auch das Gericht hielt sich mit juristischen Feinheiten nicht lange auf. Zu eindeutig erschien das Bild vom gefährlichen Gewohnheitsverbrecher von Kindheit an. Dabei fügten sich für das Gericht die frühen Einweisungen in Erziehungsheime und KZs nahtlos in die Strafakte des Angeklagten ein – als handele es sich hier nicht um Unrechtsmaßnahmen der Nazis.

Recherchen für das WDR ZeitZeichen belegen nun: Landgerichtsdirektor Friedrich Jagemann, der den Prozess leitete, war nicht nur Mitglied von NSDAP und SA, sondern begann seine juristische Laufbahn 1935 in der "Gauleitung Münster“. Ein wesentliches Detail, das Jagemann sowohl im Entnazifizierungsverfahren, als auch in den Personalakten des Landgerichts Osnabrück verschwieg. Bekannt war dort allerdings, dass Jagemann von 1937 bis Kriegsende als Wehrmachtsrichter Karriere gemacht hatte. Das bestätigte ein Gerichtssprecher auf WDR-Nachfrage.

In einer Beurteilung der "Division Hermann Göring“ aus dem Jahre 1944, die im Militärarchiv Freiburg abgelegt ist, heißt es über Jagemann: "Zum nationalsozialistischen Staat überzeugt eingestellt. Diensteifer sehr lobenswert. Seine Urteile treffen in knapper Begründung stets das Richtige.“

Ein früheres Arbeitszeugnis bescheinigt ihm "regen Eifer“. Er bringe "den militärischen Forderungen gutes Verständnis entgegen.“

Jagemann war also "eifriger“ Mittäter in der Gruppe jener "furchtbaren Juristen“, auf deren Konto mehr als 30.000 Todesurteile gehen – nach heutiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausnahmslos Unrechtsurteile.

Ex-Wehrmachtsrichter entscheidet über NS-Opfer

Im Fall Fabeyer urteilte der Landgerichtspräsident nun über einen Angeklagten, der wegen Fahnenflucht selbst zu schwerer KZ-Arbeit verurteilt worden war – und dessen älterer Bruder von einem Wehrmachtsgericht sogar hingerichtet wurde.

Für den Bremer Rechtshistoriker Peter-Lutz Kalmbach ist es deshalb ein klares Unrecht, dass ein solcher Richter über Fabeyer Recht sprechen durfte: "Im "Dritten Reich" war Fabeyer eindeutig Opfer gewesen. Der Mensch, der über ihn zu Gericht saß, war damaliger Täter."

Erst 1987 wurde Bruno Fabeyer begnadigt. Der frühere NS-Jurist Friedrich Jagemann starb 1979 als angesehener Bürger der Stadt Osnabrück.

Hinweis: Das WDR ZeitZeichen zum Prozess gegen Bruno Fabeyer läuft am Mittwoch, 23.11. um 9.45 Uhr auf WDR 5 und um 17.45 Uhr auf WDR 3. Es ist jederzeit in der Audiothek zu hören:

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