Menschen zünden Kerzen für die Opfer an

Anschlag in Solingen: Die wichtigsten Entwicklungen im Überblick

Stand: 27.08.2024, 17:15 Uhr

Nach dem Anschlag mit Toten und Verletzten herrscht in Solingen weiter Trauer - und die Politik diskutiert über Konsequenzen.
 

Solingen: Trauer - und Besuch von Scholz

WDR Studios NRW 26.08.2024 01:03 Min. Verfügbar bis 26.08.2026 WDR Online


Trauer, Demos und der Wunsch nach Normalität

Nachdem am Freitagabend bei einem Stadtfest in Solingen ein Mann mit einem Messer drei Menschen getötet und acht teils lebensgefährlich verletzt hat, steht die Stadt noch immer im Fokus der Öffentlichkeit. Am Montag kam Bundeskanzler Olaf Scholz in die Stadt. Später kam es erneut zu mehreren Demonstrationen.

Die Polizei spricht von insgesamt vier Demos - mit jeweils etwa 100 bis 200 Teilnehmenden. Rechte Demonstranten sollen den Hitlergruß gezeigt und ausländerfeindliche Parolen gerufen haben. Zum Teil wurden ausländerfeindliche Parolen gerufen. Gegendemonstranten wurden weggetragen.

Oberbürgermeister Tim Kurzbach äußerte am Montag einen Wunsch: "Lasst uns in Solingen bitte auch mal zur Ruhe kommen und auch zur Normalität!" Danach sehne man sich ein Stück weit. "So schnell wird nichts mehr so sein, wie es vorher war." Aber ...

"Leben, das wird auch in unsere Stadt wieder zurückkehren - davon bin ich fest davon überzeugt." Tim Kurzbach, Oberbürgermeister Solingen
Kanzler Olaf Scholz und Solinger Bürgermeister Tim Kurzbach

OB Tim Kurzbach (links) und Bundeskanzler Olaf Scholz (beide SPD)

Immer wieder zieht es Menschen zum Tatort, um Blumen abzulegen und Kerzen anzuzünden. "Für uns ist es schwer, das zu verarbeiten", sagt ein Solinger. "Denn es betrifft nicht nur die Opfer, das hat jeden Solinger hier getroffen."

Bundeskanzler Scholz zu Besuch in Solingen

"Das war Terrorismus, Terrorismus gegen uns alle", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz bei einem Besuch am Tatort. "Das ist etwas, was wir niemals hinnehmen werden, was wir niemals akzeptieren werden", fügte der Kanzler hinzu.

Scholz war sichtlich bewegt und legte gemeinsam mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst und Vertretern der Landesregierung weiße Rose am Tatort nieder.

Scholz kündigt rasche Verschärfung des Waffenrechts an

Scholz kündigte in seiner Rede eine rasche Verschärfung des Waffenrechts an. Das gelte insbesondere für Messer - aber auch für "viele andere Dinge drumherum, die geregelt werden müssen", sagte der Kanzler bei einem Besuch. "Das soll und das wird jetzt auch ganz schnell passieren."

Debatte über schnellere Abschiebungen und schärfere Migrationspolitik

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, l) und Hendrik Wüst, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, geben nach einem Gespräch mit Einsatzkräften Statements für die Presse ab

Scholz verspricht Konsequenzen nach dem Anschlag in Solingen

Der Bundeskanzler reagierte auf Kritik an seiner Migrationspolitik. Bereits im Juni nach dem tödlichen Messerangriff von Mannheim hatte der SPD-Politiker angekündigt, die Abschiebung von Schwerstkriminellen und terroristischen Gefährdern nach Afghanistan und Syrien wieder zu ermöglichen. Die Grünen zeigten sich damals skeptisch.

Nach Angaben des Parlamentarischen Geschäftsführers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, will sich Scholz mit Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) im Laufe diese Woche treffen und über diese Fragen sprechen.

Der CDU-Chef forderte in seinem E-Mail-Newsletter "MerzMail" für einen deutschen Aufnahmestopp für Geflüchtete aus Syrien und Afghanistan aus. Rechtlich ist dies umstritten. NRW-Innenminister Herbert Reul sagte im WDR, der Gedanke sei richtig, aber juristisch sei es vermutlich nicht möglich.

Am Dienstag Sprach Merz nicht mehr nur von Afghanen und Syrern. Er forderte, den "anhaltenden illegalen Zustrom von Migranten" insgesamt zu begrenzen. Zuvor kam er mit Bundeskanzler Scholz zu einem Gespräch über mögliche Konsequenzen aus dem Attentat von Solingen und Mannheim zusammen.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst sprach sich erneut für konsequente Abschiebungen auch nach Syrien und Afghanistan aus. "Mir ist klar, dass das kompliziert ist, aber da muss rangegangen werden", sagte Wüst bei einem Besuch zusammen mit Bundeskanzler Olaf Scholz am Tatort. Dazu brauche es eine neue Lagebeurteilung.

Die Forderungen nach härteren Abschieberegeln und einem strengeren Waffenrecht wurden in den letzten Tagen immer lauter. Zugleich wird Aufklärung verlangt, weshalb die Behörden im vergangenen Jahr mit dem Versuch scheiterten, den syrischen Asylbewerber abzuschieben, der so überhaupt erst den Anschlag mit drei Todesopfern am Freitagabend verüben konnte. Es geht auch um die Frage, ob der Rechtsstaat alle Mittel ausschöpft, um die Bürgerinnen und Bürger zu schützen.

Ministerin Paul: Dublin-Verordnung auf Prüfstand stellen

Die auch für Abschiebungen zuständige NRW-Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration, Josefine Paul (Grüne) teilte am Montagabend mit, man prüfe derzeit, ob es bei der Anwendung der EU-Regeln zur Asylzuständigkeit im Fall des mutmaßlichen Attentäters von Solingen zu Fehlern gekommen sei. Diese müssten lückenlos benannt und aufgeklärt, die nötigen Maßnahmen müssten eingeleitet werden. Dies sei man den Opfern und ihren Angehörigen schuldig.

Das NRW-Fluchtministerium bemühe sich derzeit, die gescheiterte Rückführung des Syrers aufzuklären - "mit aller gebotenen Dringlichkeit und notwendiger Gründlichkeit und Konsequenz", fügte Paul hinzu. Dazu habe man einen Bericht bei der Zentralen Ausländerbehörde in Bielefeld angefordert und alle notwendigen Informationen beim zuständigen Bundesamt erbeten.

Für ein Interview stand Paul nicht zur Verfügung. Die stellvertretende Miniterpräsidentin Mona Neubaur, verteidigte im Gespräch mit dem WDR ihre Grünen-Kollegin: Sie habe Verständnis, dass die Ministerin zunächst Klarheit schaffen wolle.

NRW-Innenminister Reul fordert mehr Befugnisse für Sicherheitsbehörden

Es waren bereits einige Politikerinnen und Politiker vor Ort in Solingen, darunter NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Voraussichtlich am kommenden Wochenende wird auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Solingen kommen.

Wüst kritisierte im WDR Fernsehen die komplizierten Regeln in deutschen Asylverfahren. "Abschieben im großen Stil", wie es der Bundeskanzler angekündigt habe? Dann müsse auch etwas passieren, so Wüst. NRW-Innenminister Herbert Reul forderte in der ARD-Sendung Carmen Miosga mehr Befugnisse für Sicherheitsbehörden. "Wer nicht geträumt hat, wusste, dass der islamistische Terror unterwegs ist", so Reul. 

Sondersitzung im Landtag am Donnerstag

Am Donnerstag (29.08.2024) wird es eine Sondersitzung des Innen- und Integrationsausschusses im nordrhein-westfälischen Landtag geben. Die Oppositionsfraktionen von SPD und FDP haben unabhängig voneinander entsprechende Anträge gestellt.

Demonstrationen in Solingen

Am Sonntagabend hatte die Jugendorganisation der AfD, die Junge Alternative (JA), zu einer Kundgebung nahe des Tatorts in Solingen aufgerufen. 50 Teilnehmende waren dort angemeldet. Außerdem auf der Straße waren Anhänger der kommunistischen Kleinstpartei MLPD, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Nach Anschlag: Polizisten im Einsatz bei Kundgebung der Jungen Alternative und Gegendemonstrationen in Solingen

Hunderte Gegendemonstranten protestierten gegen die JA, die nach ihrer Meinung das Attentat für Hetze gegen alle Migranten nutzen wollen. Nachdem zunächst alles friedlich verlaufen sei, hätten einige Teilnehmer einer Demonstration von linken Gruppierungen eine Polizeikette durchbrochen. Die Beamten seien dadurch genötigt gewesen, sich mit Schlagstöcken zu wehren, heißt es im Polizeibericht.

Am Sonntagmorgen hat es eine Trauerfeier gegeben. Tags zuvor versammelten sich etwa 1.500 Menschen auf dem Neumarkt in der Solinger Innenstadt, legten Blumen nieder und stellten Kerzen auf. "Die Stadt ist heute eine andere als sie gestern war", sagte der Solinger Stadtdechant Michael Mohr.

Tatverdächtiger ist 26-jähriger Syrer

Bei dem Tatverdächtigen handelt es sich um einen 26-jährigen Syrer. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf habe sich ein 26-jähriger Mann den "Ermittlungsbehörden gestellt". Laut "Spiegel" soll die Kleidung des 26-Jährigen schmutzig und blutverschmiert gewesen sein, als er sich am Samstagabend einer Polizeistreife stellte.

Nach Angaben des Magazins soll der Mann aus der syrischen Stadt Deir al-Sor stammen. Ein anderer Mann, der zuvor im Rahmen einer Durchsuchung einer Solinger Flüchtlingsunterkunft in eine Polizeiwache gebracht wurde, gelte als Zeuge.

Der Tatverdächtige Syrer wurde nach dem Haftprüfungstermin am Bundesgerichtshof in Karlsruhe in die JVA Düsseldorf gebracht. Er soll Ende Dezember 2022 nach Deutschland gekommen sein und in Bielefeld einen Asylantrag gestellt haben. Den Sicherheitsbehörden soll er nicht als islamistischer Extremist bekannt gewesen sein.

Tatverdächtiger sollte nach Bulgarien abgeschoben werden

Offenbar sollte der Geflüchtete aus Deutschland abgeschoben werden, weil Bulgarien für das Asylverfahren zuständig sei. Dort habe er laut Medienberichten zum ersten Mal den Boden der Europäischen Union betreten. Weil der Syrer aber nicht in der Flüchtlingsunterkunft gewesen sei, konnte eine Abschiebung nach Bulgarien nicht durchgeführt werden.

"Er war an dem Tag nicht da, er war aber ansonsten in der Einrichtung. Und damit gilt er nicht als abgetaucht. Und das ist für die Bewertung, wie man mit ihm umgeht, offensichtlich ein Kriterium gewesen", sagte NRW-Innenminister Herbert Reul im WDR. Wie oft in der Unterkunft nach ihm geschaut wurde, konnte Reul aber nicht beziffern.

NRW-Ministerpräsident Wüst sagte im WDR-Interview hierzu: "Da gibt es eine Menge Fragen. Es sind auch eine Menge Behörden involviert. Das muss aufgeklärt werden, und da muss Klartext gesprochen werden, wenn da etwas schiefgelaufen ist."

IS-Terroristen bekennen sich - Bundesanwaltschaft ermittelt

Der Angriff habe einer "Gruppe von Christen" gegolten, hieß es in einer Mitteilung des IS-Propaganda-Organs Amaq im Onlinedienst Telegram. Dies sei aus "Rache für Muslime in Palästina und anderswo" geschehen, hieß es weiter. Offenbar bezieht sich der IS damit auf den Krieg im Gazastreifen zwischen Israel und der militant-islamistischen Hamas.

Inzwischen kursiert auch ein Bekenner-Video, das den Solingen-Attentäter zeigen soll. Ob es sich bei dem Vermummten in dem Video tatsächlich um den Attentäter von Solingen handelt, ist bislang nicht klar.

Polizisten sichern Spuren an mutmaßlichem Fundort

Spurensicherung an mutmaßlichem Fundort des Messers

Auch die Polizei Düsseldorf erhielt nach eigenen Angaben ein Bekennerschreiben des IS. Jetzt müsse geprüft werden, ob es echt sei, sagte ein Sprecher.

Bundesanwaltschaft übernimmt Ermittlungen

Die Bundesanwaltschaft übernimmt nun als oberste deutsche Anklagebehörde die Ermittlungen gegen den Tatverdächtigen. "Wir ermitteln unter anderem wegen Mord und versuchtem Mord und daraus folgt dann eben auch die Zuständigkeit des Generalbundesanwalts, wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, namentlich dem sogenannten islamischen Staat", sagte eine Sprecherin des Generalbundesanwalts.

"Das heißt, dass man in der Bewertung dieser Tat ganz sicher von einem islamistischen Terroranschlag ausgeht", sagt ARD-Terrorismusexperte Michael Götschenberg dem WDR. "Die Bundesanwaltschaft ist immer dann zuständig, wenn wir über Terrorstraftaten reden." Sie arbeitet nicht anders als eine normale Staatsanwaltschaft, ist aber die oberste Anklagebehörde, weil bei staatsgefährdenden Taten ein besonderes öffentliches Interesse besteht.

Der festgenommene Beschuldigte wurde einem Haftrichter vorgeführt und befindet sich in Untersuchungshaft.

Sollte es zu einer Anklage durch den Generalbundesanwalt kommen, wird der Fall wegen des möglichen terroristischen Hintergrunds auch vor einem Oberlandesgericht statt einem Landgericht verhandelt. Für den Fall in Solingen wäre das Oberlandesgericht Düsseldorf zuständig.

Täter in Solingen stach gezielt auf Opfer ein

Der Messerangriff auf der 650-Jahr-Feier in Solingen ereignete sich am Freitag gegen 21.40 Uhr. Tatort war der Fronhof - ein Marktplatz in der Innenstadt von Solingen. Der Angreifer tötete zwei Männer im Alter von 67 und 56 Jahren sowie eine 56-jährige Frau. Acht Menschen wurden verletzt, vier von ihnen schwer.

Nach Klinikangaben am Sonntag sind alle Verletzten außer Lebensgefahr. "Alle vier noch stationär behandelten Patienten sind über den Berg", sagte der ärztliche Direktor des Städtischen Klinikums Solingen, Thomas Standl, am Sonntag im TV-Sender "Welt".

Stadt Solingen hat Hotline eingerichtet - Polizei bittet um Hinweise

Die Stadt Solingen hat eine Hotline als Bürgertelefon eingerichtet. Unter 0212/290-2000 kann nach dem Verbleib vermisster Personen gefragt werden.

Die nordrhein-westfälische Polizei bittet um Hinweise zu dem Messerangriff. Fotos und Videos von Augenzeugen können auf dem Hinweisportal der Behörde zur Verfügung gestellt werden:

Unsere Quellen:

  • Nachrichtenagenturen dpa, AFP, Reuters und KNA
  • WDR-Sondersendungen
  • Pressekonferenz von Staatsanwaltschaft und Polizei
  • Politiker-Statements vor der Presse in Solingen
  • Polizei Düsseldorf
  • Internetseite des Generalbundesanwalts
  • Gerichtsverfassungsgesetz
  • NRW-Innenminister Reul im tagesschau24-Interview
  • WDR-Reporter vor Ort und aus dem WDR-Newsroom
  • Robert Habeck auf Instagram