Die Notaufnahmen von Krankenhäusern sind voll. Das liege auch daran, dass dort viele Menschen Hilfe suchen, die keine medizinischen Notfälle sind. So steht es in der Einleitung zu einem Gesetzesentwurf zur Reform der Notfallversorgung.
Am Mittwoch berät der Bundestag in einer ersten Lesung über diesen Entwurf. Das Ziel ist es, die Notaufnahmen zu entlasten. Sollte es so kommen, wie geplant, könnten allerdings neue Probleme auftreten.
Erst zur Beratung an den Tresen, dann ins Wartezimmer
Was genau ist geplant? Patienten sollen künftig vorsortiert werden. Ablaufen soll das so: An einem Tresen im Krankenhaus sollen die Menschen zu ihren Beschwerden befragt werden. Dort soll dann entschieden werden, ob ein Patient in die Notaufnahme des Krankenhauses geschickt wird oder in eine Notfallpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung.
In einer Notfallpraxis versorgen Ärzte Patienten, die einen Arzt brauchen und nicht bis zur nächsten Sprechstunde warten können. Diese Praxen sind meist direkt an ein Krankenhaus angebunden - also im Krankenhaus selbst oder direkt nebenan. In vielen Städten gibt es das schon so. Das soll ausgebaut werden.
Auch in NRW ist diese Struktur nach Aussage der AOK Rheinland/Hamburg schon weit verbreitet. Laut Pressesprecher Heiko Schmitz gibt es an vielen Krankenhäusern bereits sogenannte Portalpraxen. "Immer mehr dieser Portalpraxen verfügen über einen gemeinsamen Tresen oder Empfang für Patientinnen und Patienten", sagt er. "Vor Ort wird der akute Behandlungsbedarf festgestellt und die Betroffenen werden in die richtige Versorgungsebene geleitet." Es geschehe also bereits das, was jetzt bundesweit geplant werde.
Die 116 117 wählen und kürzer warten
Vorsortiert werden soll aber auch an noch an anderer Stelle: am Telefon. Die 116 117 ist der Patientenservice der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Wer diese Nummer wählt, soll künftig über eine sogenannte Akutleitstelle beraten werden.
Dabei geht es dann vor allem auch um die Frage, ob ein Patient ins Krankenhaus geschickt wird, in eine Notfallpraxis oder ob vielleicht auch ein Termin beim Hausarzt reicht. So ein Anruf soll sich auch lohnen. Wer die 116 117 wählt und eine Empfehlung für die Notaufnahme bekommt, soll dort dann bevorzugt behandelt werden - also kürzer warten.
In lebensbedrohlichen Fällen gilt aber weiterhin: sofort den Rettungsdienst unter der Notrufnummer 112 alarmieren.
Wo sollen die Ärzte herkommen, um das umzusetzen?
Wird mit der Reform für Patienten alles besser? Experten aus dem Gesundheitssystem sehen das durchaus kritisch. Denn: Die Medizin hat heute schon ein Personalproblem. Mit der Reform werden zwar Notaufnahmen entlastet, dafür werden aber an anderer Stelle im System mehr Ärzte oder Fachkräfte benötigt, sagen die für Hausärzte in NRW zuständigen Verbände, der Hausärzteverband Nordrhein und der Hausärzteverband Westfalen-Lippe.
Lars Rettstadt, Vorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe, sagt: Die geplante Notfallreform sehe die Einführung neuer Strukturen vor, beispielsweise den Aufbau eines 24/7-verfügbaren telemedizinischen Bereitschaftsdienstes sowie eines aufsuchenden Notdienstes - "beides zu Zeiten, in denen hausärztliche Praxen regulär geöffnet sind". Diese Doppelstruktur führe zu einer erheblichen Verschwendung von Personalressourcen und trage nicht zur Verbesserung der Notfallversorgung bei.
Außerdem drängt sich eine Frage auf. Woher sollen die Ärzte kommen, die diesen Service möglich machen?
Praxisteams an der Belastungsgrenze
Volles Wartezimmer
Bereits jetzt seien die hausärztlichen Praxisteams mit der täglichen Arbeit in den Praxen regelmäßig bis zur Belastungsgrenze und darüber hinaus im Einsatz, sagt Rettstadt.
Auch Kai Behrens, Pressesprecher im AOK-Bundesverband, sieht die Reform wegen des Fachkräftemangels kritisch. Er sagt: "Natürlich wäre es gut, wenn die notdienstliche Akutversorgung, Rettungs-Leitstellen und Integrierte Notfallzentren (INZ) zukünftig eng verzahnt werden und der Zugang zur Notfallversorgung für Patienten transparenter und strukturierter verliefe."
Aber auch er sieht die Gefahr, dass durch die vielen teilweise miteinander konkurrierenden Gesetzgebungen die knappen Personalressourcen von Ärzten, Pflegekräften und Notfallsanitätern komplett überstrapaziert würden.
Desorientierung unter Patienten am Ende noch größer?
Zudem befürchtet Behrens, dass die neuen Strukturen dazu führen könnten, dass die Patienten nichtmehr wissen,an wen sie sich wenden sollen. "Es darf nicht passieren, dass wir am Ende zwar Leitstellen integriert, Integrierte Notfallzentren gegründet und zusätzliche Hausärzte für Notdienste abgestellt haben, aber die Desorientierung unter Patienten noch größer geworden ist und unter 112 oder 116 117 es noch schwieriger wird, den richtigen Ansprechpartner im Notfall zu erreichen", sagt er.
Nach der Lesung übernimmt der Gesundheitsausschuss
Wie geht es mit dem Gesetzentwurf jetzt weiter? Den von der Bundesregierung angekündigten Gesetzentwurf "zur Reform der Notfallversorgung" debattiert das Parlament am Mittwoch ab 18 Uhr. Für die erste Lesung sind 40 Minuten eingeplant. Anschließend soll der Gesetzentwurf dem federführenden Gesundheitsausschuss zur weiteren Beratung überwiesen werden. In der Regel werden Gesetzesentwürfe im Laufe dieses Prozesses noch mal angepasst und verändert.
Unsere Quellen:
- Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Notfallversorgung
- Deutscher Bundestag, 1. Lesung: Reform der Notfallversorgung
- Statement von Kai Behrens, Pressesprecher im AOK-Bundesverband, auf WDR-Nachfrage
- Statement von Lars Rettstadt, Vorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe, auf WDR-Nachfrage
- Statement von Monika Baaken, Pressesprecherin Hausärzteverband Nordrhein e.V., auf WDR-Nachfrage
- Statement von Heiko Schmitz,Pressesprecher der AOK Rheinland/Hamburg,auf WDR-Anfrage