Notaufnahme-Gebühr gefordert: Sollten manche Patienten künftig zahlen?

Stand: 12.04.2023, 16:24 Uhr

Kassenärzte-Chef Gassen hat eine Notaufnahme-Gebühr gefordert. Die Begründung: Bei vielen Patienten gehe es nicht um Notfälle. Nicht nur die Stiftung Patientenschutz lehnt das ab.

Von Julia Küppers, Jörn Seidel und Sabine Meuter

Die Notaufnahmen vieler Krankenhäuser sind chronisch überlastet - auch in NRW. Für Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, liegt das insbesondere an jenen Patientinnen und Patienten, die eigentlich gar keine Notfälle seien. Daher sollten sie künftig eine Notaufnahme-Gebühr bezahlen, fordert er im Gespräch mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Dem WDR sagt Gassen, solche Notaufnahme-Gebühren seien außerhalb Deutschlands in vielen Ländern üblich und bewegten "sich in einem Rahmen zwischen 20 und 50 Euro". Gassen begründet seine Forderung damit, dass mittlerweile ein großer Teil derjenigen, die den ärztlichen Bereitschaftsdienst außerhalb der Sprechzeiten oder die Notfallambulanzen in Anspruch nehmen, keine Notfälle seien.

Ein Notfall ist eigentlich ein akutes Ereignis, das Leben und Gesundheit gefährdet, wenn nicht sofort medizinisch interveniert wird, und das, wissen wir alle, trifft auf die allerwenigsten zu. Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung
Andreas Gassen, Vorsitzender der kassenärztlichen Bundesvereinigung.

Andreas Gassen, Kassenärzte-Chef

Gassen nennt dem WDR ein Beispiel: "Wenn jemand die ganze Woche Rückenschmerzen hat und geht dann am Samstag in die ärztliche Bereitschaftsdienstpraxis, dann würde ich sagen, das ist eindeutig kein Notfall, sondern das ist eine Fehlinanspruchnahme." Solche Fälle bänden in den Bereitschaftsdiensten Kapazitäten und gehörten dort nicht hin.

"Wer weiterhin direkt in die Notaufnahme geht, ohne vorher die Leitstelle anzurufen, muss gegebenenfalls eine Notfallgebühr entrichten." Andreas Gassen,
Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung

Forderung: Leitstelle anrufen, sonst Gebühr fällig

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erteilte dem Vorstoß bereits eine Absage. Es gebe aktuell intensive Beratungen über die Neustrukturierung der Notfallversorgung in Deutschland, sagte er am Mittwoch. Über eine Gebühr werde aber nicht diskutiert.

"Daher wird der Vorschlag, der hier von der kassenärztlichen Bundesvereinigung, von Herrn Gassen, vorgetragen wird, der wird keine Umsetzung finden", so Lauterbach

Patientenschützer Brysch: Forderung unberechtigt

Eugen Brysch, Vorsitzender der Deutschen Stiftung Patientenschutz

Eugen Brysch, Stiftung Patientenschutz

Trotzdem ist die Diskussion über eine mögliche Notaufnahme-Gebühr bereits in vollem Gange. Gassens Forderung sei unberechtigt, sagte am Mittwoch Eugen Brysch, Vorstand der in Dortmund ansässigen Deutschen Stiftung Patientenschutz.

"Von massenhaftem Missbrauch der Notaufnahmen kann keine Rede sein." Eugen Brysch, Deutsche Stiftung Patientenschutz

Als Argument für seine Einschätzung nannte Brysch: Schließlich würde sich fast jeder Zweite bei nicht lebensbedrohlichen Beschwerden an den ärztlichen Bereitschaftsdienst wenden, also nicht gleich die 112 wählen oder direkt in die Notaufnahme gehen.

Wie oft kommt es zu Bagatell-Fällen in den NRW-Notaufnahmen?

Genaue Zahlen zu Bagatell-Fällen in Notaufnahmen lägen keine vor, erklärte die kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe auf WDR-Anfrage.

Auch die Kasenärztliche Vereinigung Nordrhein teilte dem WDR mit: "Einschlägiges Zahlenwerk liegt uns in diesem Fall nicht vor." Ihrer Einschätzung nach gebe es jedoch einen Trend: "Grundsätzlich können wir aber bestätigen, dass die Anzahl von Bagatell-Fällen in den nordrheinischen Notdienstpraxen über die Jahre deutlich angestiegen ist."

Darunter falle zum Beispiel die Ausstellung von CT-Überweisungen, Krankschreibungen oder Rezepten, die während der regulären Sprechstundenzeiten nicht besorgt wurden, heißt es weiter.

Notfall-Mediziner Kill: Hotlines müssten besser werden

Patientinnen und Patienten könnten die Schwere ihrer Symptome oft nicht deuten, sagte Clemens Kill, Direktor des Zentrums für Notfallmedizin Uniklinik Essen, am Mittwoch dem WDR. "Vorher weiß man ja oftmals nicht, ob es eine Bagatelle ist oder nicht. Insofern hat jeder, der medizinische Hilfe sucht, zunächst mal einen Anspruch darauf, dieselbige zu bekommen."

Es sei allerdings tatsächlich "sinnvoll", wenn Patientinnen und Patienten vor dem Besuch einer Notaufnahme telefonische Beratung bekämen. Wichtig sei dabei aber nicht nur "eine sehr schnelle Erreichbarkeit ohne lange Warteschleifen", sondern auch "dass dann in der Folge der Patient auch eine Lösung bekommt". Die Hotline müsse "Zugang zu allen medizinischen Systemen" ermöglichen, fordert Kill. Mit den jetzigen Strukturen sei das nicht möglich.

Über dieses Thema berichtet am 12.04.2023 auch die "Aktuelle Stunde" im WDR Fernsehen.