Ein Arbeiter überprüft eine Anlage in einem Uniper-Gasspeicher

Nord Stream 1: Reicht die russische Gaslieferung für den Winter aus?

Stand: 21.07.2022, 16:01 Uhr

Durch Nord Stream 1 fließt wieder Gas, sogar mehr als zunächst erwartet. Die Auslastung der Pipeline liegt bei etwa 40 Prozent. Können damit die Speicher für den Winter gefüllt werden?

Nach der Wartung von Nord Stream 1 ist die russische Gasliefermenge wieder auf 40 Prozent der ursprünglich vereinbarten Liefermenge gestiegen. Die Pipeline war seit dem 11. Juli wegen einer jährlichen Wartung für zehn Tage außer Betrieb.

Die Bundesregierung hatte befürchtet, dass der Energiekonzern Gazprom nach Beendigung der Arbeiten den Gashahn geschlossen halten oder deutlich weniger liefern könnte. Doch die Lage ist nach wie vor unsicher. Der russische Präsident Wladimir Putin könnte jederzeit einen Lieferstopp verhängen. Doch auch wenn die Auslastung der Pipeline weiterhin 40 Prozent beträgt, stellen sich Fragen.

Reichen 40 Prozent aus, um die Speicher bis zum 1. November bis zu 90 Prozent zu befüllen?

Dazu gibt es unterschiedlich Aussagen. Aus Sicht der Bundesnetzagentur reicht das nicht. In ihrem Lagebericht, der am Donnerstag veröffentlicht wurde, heißt es: "Sollten die russischen Gaslieferungen über Nord Stream 1 weiterhin auf diesem Niveau verharren (40 Prozent), ist ein Speicherstand von 90 Prozent bis November kaum mehr ohne zusätzliche Maßnahmen erreichbar."

Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, sagte bereits am Mittwoch der WDR-Wirtschaftsredaktion: "Die Frage, ob wir die Speicher weiter befüllen können, hängt schlicht von der Entscheidung ab, ob und wenn ja wie viel Gas über die Nord Stream 1 in den nächsten Wochen und Monaten kommt." Derzeit seien die Speicher in Deutschland zu rund 65 Prozent gefüllt. Das sei aber nicht ausreichend. "Darum sehen wir die Weiterentwicklung mit Sorge."

Anders lautet die Einschätzung der Initiative Energien Speichern (INES), die nach eigenen Angaben mehr als 90 Prozent der deutschen Gasspeicherkapazitäten repräsentiert: "Unter der Voraussetzung, dass diese Gaslieferungen dauerhaft erhalten bleiben und Flüssigerdgas weiterhin auf einem hohen Niveau importiert werden kann, dann sind die gesetzlich definierten Zielspeicherfüllstände in Höhe von 80% bis zum 1. Oktober und 90 Prozent bis zum 1. November vermutlich noch zu erreichen.“

Sind 90 Prozent bis zum 1. November genug?

Tatsächlich ist es so, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Donnerstagnachmittag veränderte Zielmarken verkündet hat. Demnach sollen die deutschen Speicher stärker gefüllt sein als bisher geplant. Die Bundesregierung will bis 1. September auf 75 Prozent, bis 1. Oktober auf 85 Prozent und bis 1. November auf 95 Prozent in den Speichern kommen.

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Wie will Habeck diese neuen Ziele erreichen?

Der Grünen-Politiker will Unternehmen per Verordnung zum Energiesparen verpflichten. So sollen Flure und andere Räume, in denen sich Menschen nicht länger aufhalten, im Winter nicht geheizt werden. 

Bundeswirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck bei einer Pressekonferenz.

Mieterinnen und Mieter sollen mehr Spielraum bekommen, Energie einzusparen. Aktuell gibt es laut Wirtschaftsministerium vertragliche Verpflichtungen, eine Mindesttemperatur in gemieteten Räumen aufrechtzuerhalten. Wenn Mieterinnen und Mieter weniger heizen wollen, würden sie gegen Mietverträge verstoßen. Diese Verpflichtungen sollen vorübergehend ausgesetzt werden. 

Außerdem soll es verboten werden, dass Hausbesitzer "über diesen Winter" private Pools mit Gas beheizen. Habeck kündigte außerdem einen verbindlichen Check bei Gasheizungen an. Wer diesen Check mache, könne seine Heizung optimiert einstellen. In Mehrfamilienhäusern solle es einen hydraulischen Abgleich geben, damit das Heizwasser optimal verteilt wird.

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Was bedeutet ein Gasmangel für die Verbraucher?

Bei einer Gasmangellage gehören die privaten Haushalte nach EU-Vorgaben zu den besonders schützenswerten Verbrauchergruppen - wie auch Krankenhäuser, Pflegeheime oder Polizeistationen. Diese Gruppen würden gegenüber der Industrie bevorzugt mit Gas bedient.

Falls zuwenig Gas vorhanden ist, wird die Bundesnetzagentur aktiv. Sie kann dann der Industrie sogenannte Abschaltverfügungen erteilen. "Industrieanlagen würden eine Weisung bekommen, dass sie weniger Gas abnehmen dürften. Das würden wir kontrollieren und notfalls auch sanktionieren", so Bundesnetzagentur-Chef Müller. Damit würde die Gaslage wieder ausgeglichen und die Versorgung der privaten Haushalte sichergestellt.

Welche Industrieunternehmen wären betroffen?

"Es gibt für die Industrie bisher noch keine festgelegte Abschaltreihenfolge, weil die Lage komplex ist", sagte Bundesnetzagentur-Chef Müller. Es gebe zwar Produkte wie Lebensmittel und Medikamente, die eindeutig für den täglichen Bedarf benötigt würden. "Das Problem ist nur, in diesen Produkten stecken Vorprodukte." Diese müssen zum Beispiel verpackt werden, um sie hygienisch zu transportieren.

Um sich eine Übersicht zu verschaffen, welche Industrieunternehmen jeweils unmittelbar mit den Produkten des täglichen Bedarfs zusammenhängen, erarbeite die Bundesagentur derzeit deshalb eine digitale Plattform. "Da sind wir dran, das braucht aber noch Zeit." Mithilfe dieser Plattform, die bis zum 1. Oktober fertiggestellt sein soll, könne dann fundierter über eine mögliche Abschaltreihenfolge entschieden werden.

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