In Gelsenkirchen soll ein Dozent der Westfälischen Hochschule Studenten über Jahre hinweg bedrängt und seine Machtposition ausgenutzt haben. An der Uni Köln erheben Promovierende und ehemalige Angestellte Anschuldigungen gegen eine Professorin. Und gegen einen anderen Professor gibt es Vorwürfe der sexuellen Belästigung und Erniedrigung.
All diese Fälle haben zuletzt für Schlagzeilen gesorgt. Schnell stellt sich die Frage: Sind das Einzelfälle oder steckt da mehr dahinter? Gibt es an Hochschulen ein Problem mit Machtmissbrauch?
Nur die Spitze des Eisberges?
Geht es nach fast 100 Professorinnen und Professoren, sollte auf jeden Fall mal über das gesprochen werden, was an den Unis nicht rund läuft. "Die Strukturen des deutschen Wissenschaftssystems sind eine Einladung zum Machtmissbrauch. Wir haben es dabei mit einem Eisberg zu tun, von dem nur eine kleine Spitze zu sehen ist", schreiben sie in einem offenen Brief, den sie demnächst an die Bildungsminister von Bund und Länder schicken wollen. So wird beklagt, dass Fälle von Machtmissbrauch nur selten verfolgt würden. Konsequenzen seien "extrem rar".
Konkret zählen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einige Dinge auf: "Zu solchen Fällen gehören beispielsweise die ungerechtfertigte Übertragung von eigentlich professoralen Aufgaben an Mitarbeitende, deren systematische Überlastung mit Arbeit, die willkürliche Ausübung professoraler Entscheidungsgewalt (z.B. über Reise- und Projektmittel), die Aneignung von geistigem Eigentum Mitarbeitender, sexuelle Belästigung, Nötigung und ähnliches."
Strukturen sollen das Problem sein
Historikerin Martina Winkler
Initiiert hat den Brief die Kieler Historikerin Martina Winkler. Im WDR-Interview sagte sie, dass das Problem im System liege. "Wir haben Strukturen, die eine Einladung sind zum Machtmissbrauch. Das heißt natürlich nicht, dass jeder diese Macht missbraucht. Aber es ist eben relativ leicht möglich." Häufig seien auf der einen Seite verbeamtete Personen, die "also einen extrem sicheren Status haben und einen sehr hoch angesehenen Status". Auf der anderen Seite seien Mitarbeiter, die prekär beschäftigt seien mit kurzen Zeitverträgen - und abhängig von der verbeamteten Person. "Das Problem liegt im System", heißt es in dem Brief.
Welche Lösungen kann es geben?
Doch was kann dagegen getan werden? Die Professorinnen und Professoren fordern "stabilere, längerfristige, im Idealfall entfristete Beschäftigungsverhältnisse". Zudem könne die "fast totale Abhängigkeit" von Mitarbeitern reduziert werden, wenn Professoren nicht mehr Vorgesetzte, Betreuer und Gutachter von Arbeiten in einer Person seien. Auch brauche es effizientere Kontrollmechanismen. So seien Gleichstellungs- und Diversitätsbeauftragte bislang weitgehend machtlos, sobald es um einen Konflikt mit einer verbeamteten Person gehe.
Reformer gegen Bewahrer
Wissenschaftsjournalist Armin Himmelrath
Der Wissenschaftsjournalist Armin Himmelrath beobachtet die Diskussionen schon länger. Der offene Brief sei ein "ganz wichtiger Schritt". Er könne dafür sorgen, dass die Debatte um die Strukturen weitergeführt werde. "Die Reaktionen werden jetzt zeigen, wie es weitergeht. Ob es den Bewahrern gelingt, das Ganze wieder abzubügeln. Oder ob es den Reformern gelingt, das Ganze am Köcheln zu halten. Dann besteht auch die Chance zur Veränderung."