Razzia gegen Klimaschützer: Ist die "Letzte Generation" eine kriminelle Vereinigung?

Stand: 24.05.2023, 16:00 Uhr

Mit einer bundesweiten Razzia ist die Polizei am Mittwoch gegen Mitglieder der "Letzten Generation" vorgegangen - nicht zum ersten Mal. Verdacht: Bildung einer kriminellen Vereinigung. Was spricht dafür, was dagegen?

In mehreren Bundesländern sind am Mittwoch Wohnungen von Mitgliedern der "Letzten Generation" durchsucht worden. Im Fokus der Ermittler stehen sieben Mitglieder der Klimaschutz-Organisation - darunter auch ihre Sprecherin Carla Hinrichs. Nach Angaben des federführenden bayerischen Landeskriminalamts (LKA) und der Generalstaatsanwaltschaft München lautet der Vorwurf "Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung".

Was genau ist eine kriminelle Vereinigung? Welche Strafen könnten den Aktivisten im Fall einer Anklage drohen? Und was erwartet Spender und Unterstützer der "Letzten Generation", falls sich die Vorwürfe bestätigen? Fragen und Antworten.

Was genau ist eine kriminelle Vereinigung im Sinne des Strafrechts?

Nach Paragraph 129 des Strafgesetzbuchs ist es verboten, eine Vereinigung zu gründen oder ihr beizutreten, wenn "deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind". Die "Letzte Generation" ist vor allem für ihre Straßenblockaden bekannt, die von vielen Juristen als Nötigung interpretiert werden. Nötigung kann in besonders schweren Fällen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bestraft werden - rein formaljuristisch sind die Ermittlungen also nicht völlig aus der Luft gegriffen.

Es gibt zudem noch weitere Vorwürfe: So sollen die Beschuldigten eine Spendenkampagne "zur Finanzierung weiterer Straftaten" organisiert haben. Dabei seien mindestens 1,4 Millionen Euro eingesammelt worden. Zwei Beschuldigte stehen dem LKA zufolge außerdem im Verdacht, im April 2022 versucht zu haben, die Ölpipeline Triest-Ingolstadt zu sabotieren.

Ob die Vorwürfe einer juristischen Überprüfung standhalten - das ist noch längst nicht sicher. "Innerhalb der Justiz gibt es eine große Bandbreite der Bewertungen", sagt Michael Götschenberg, ARD-Experte für Terrorismus und Innere Sicherheit, dem WDR am Mittwoch. Dies gelte auch für die Frage, ob die "Letzte Generation" eine extremistische Vereinigung ist. "Bisher war mein Eindruck, dass Sicherheitsbehörden diese Schwelle noch nicht genommen sehen."

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Worin besteht der Unterschied zu einer terroristischen Vereinigung?

Eine terroristische Vereinigung ist darauf ausgerichtet, bestimmte schwere Straftaten zu begehen, wie zum Beispiel Mord oder Totschlag. Bei anderen Straftaten müssen diese dazu bestimmt sein, die Bevölkerung erheblich einzuschüchtern oder die Grundstrukturen des Staates zu beeinträchtigen. Bei aller berechtigter Kritik an den Methoden der "Letzten Generation" - das trifft hier wohl eher nicht zu.

Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung?

Falls der Vorwurf gegen die Klimaaktivisten tatsächlich irgendwann vor Gericht landen sollte, ist der Ausgang des Verfahrens ungewiss. Liegt der Zweck der "Letzten Generation" nicht eher darin, Aufmerksamkeit für die drohende Klimakatastrophe zu erregen? Und sind die mit den Aktionen verbundenen Straftaten vielleicht gar nicht der Zweck der Vereinigung - sondern eher ein Mittel zum Zweck oder etwa ein notwendiges Übel? In diesem Fall wäre der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung wahrscheinlich vom Tisch.

Um den Straftatbestand zu erfüllen, müsste die Vereinigung außerdem eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. Ob sich diese Sichtweise vor Gericht durchsetzt, ist nicht gesagt.

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Was sagen die Aktivisten, was die Bundesregierung?

Die "Letzte Generation" erklärte am Mittwoch, der Vorwurf der Bildung einer kriminellen Vereinigung sei völlig absurd. "Müssen wir in Deutschland erst eine Dürre erleben, an Nahrungsmittelknappheit leiden (...), bevor wir verstehen, dass die "Letzte Generation" für unser aller Leben einsteht und dass das nicht kriminell ist?", fragte ihre Sprecherin Aimée van Baalen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hingegen verteidigte die Razzia als angemessen. Im Zusammenhang mit Klimaprotesten hätten die Polizeibehörden im vergangenen Jahr mehr als 1.600 Straftaten registriert. Ein großer Teil davon gehe auf Straftaten bei den Straßenblockaden und anderen Aktionen der "Letzten Generation" zurück. Der Rechtsstaat dürfe "sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen", sagte Faeser der Funke Mediengruppe.

Sollte sich der Verdacht bestätigen: Was droht Unterstützern und Spendern?

Noch müsse sich kein Unterstützer Sorgen machen, meint ARD-Experte Götschenberg. Er erwartet, dass die Überprüfung der Vorwürfe noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Theoretisch können zwar Unterstützer von kriminellen Vereinigungen mit bis zu drei Jahren Haft oder einer Geldstrafe bestraft werden. Ob dies aber auch rückwirkend möglich ist - das sei angesichts der aktuell noch unsicheren Rechtslage eher zweifelhaft.

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